Boris Johnson:Und noch eine Party

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Party? Welche Party?, heißt es mal wieder vom britischen Premier. (Foto: Leon Neal/Getty Images)

Während der mittäglichen Fragerunde an den britischen Premierminister enthüllt eine Boulevardzeitung, man glaubt es kaum: eine weitere Lockdown-Party, an der Boris Johnson teilgenommen haben soll. Johnson aber lässt sich davon kaum beirren.

Von Michael Neudecker

Die "Prime Minister's Questions", die wöchentliche Fragerunde im britischen Unterhaus, begannen am Mittwoch mit zwei Überraschungen. Die erste Überraschung betraf den Umgang mit der Corona-Pandemie: Der Premierminister eröffnete seinen Auftritt mit der Ankündigung, die Pflicht, sich nach einem positiven Test selbst zu isolieren, werde wohl einen Monat früher enden als geplant - und damit schon in gut zwei Wochen. Auf den Bänken hinter Johnson johlten die Tories.

Die zweite Überraschung betraf, wenn man so will, auch die Corona-Pandemie. Dazu eine Flasche Champagner, eine Tüte Chips und eine Hawaii-Halsgirlande.

Vor wenigen Minuten, sagte ein Labour-Abgeordneter, als er mit seiner Frage an der Reihe war, sei ein Foto veröffentlicht worden, auf dem der Premierminister - mal wieder - bei einer Zusammenkunft zu sehen sei, die wie eine Party aussehe. Ob er diesen Vorfall an die Polizei weitergebe? Tatsächlich hatte der Daily Mirror, jenes Boulevardblatt, das den "Partygate"-Skandal mit seinen Enthüllungen angestoßen hat, kurz nach Beginn der mittäglichen und live im Fernsehen übertragenen Fragerunde eine neue Exklusiv-Story online freigeschalten, in der ein Weihnachtsquiz in Downing Street beschrieben wurde. Das soll am 15. Dezember 2020 stattgefunden haben, mit Johnson als Teilnehmer. Dazu wurde ein Foto gezeigt, auf dem drei Menschen zu sehen sind, einer davon ist Johnson, ein anderer trägt eine lustige Party-Halsgirlande, auf dem Tisch liegt eine zerknüllte Chipstüte, daneben steht eine geöffnete Champagner-Falsche. Diese Party ist bislang noch nicht Gegenstand der polizeilichen Ermittlungen. Am Mittwochabend hieß es allerdings, dass diese Entscheidung noch nicht endgültig sei.

Niemand johlte, als der Labour-Abgeordnete sich wieder setzte. Johnson sagte nur: Der ehrenwerte Gentleman sei "completely in error". Er liege komplett falsch.

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Boris Johnson sang: "I will survive"

Party? Welche Party? Das ist Boris Johnson Verteidigungslinie, ganz egal, wie viele solcher Enthüllungen auch kommen mögen. Gut möglich, dass er damit Erfolg hat, schließlich läuft "Partygate" nun schon so lange, dass offenbar selbst mancher in der Opposition daran zu zweifeln beginnt, ob Johnsons Zukunft als Premierminister wirklich noch in Gefahr ist. Dabei ist es kaum zu erklären, weshalb ein Regierungschef immer noch im Amt ist, gegen den eine polizeiliche Ermittlung läuft und der praktisch täglich mit der Frage konfrontiert wird, wie viele Misstrauensbriefe nun schon gegen ihn eingegangen sind - 38 vielleicht, oder weniger, oder doch schon die nötigen 54? Die naheliegendste Erklärung ist vermutlich die für seine Kritiker unbefriedigendste: Boris Johnson ist eben Boris Johnson.

Als Johnson, nachdem vergangene Woche fünf seiner Mitarbeiter zurückgetreten waren, die Posten nun nachbesetzte und seinen neuen Pressechef begrüßte, stimmte er zu dessen Empfang ein Lied an. Er sang: "I will survive". Guto Harri, der neue Pressechef, erzählte das selbst in einem Interview mit einer walisischen Website; Harri ist Waliser. Außerdem sagte Harri noch, Johnson sei "kein kompletter Clown", nein, sondern ein sehr "liebenswerter Charakter".

Danach soll er dafür intern gerügt worden sein, auch von Johnson. Die beiden Männer kennen sich schon lange, Guto Harri war Johnsons Pressesprecher zu seiner Zeit als Bürgermeister von London. Danach arbeitete er unter anderem als Lobbyist für den chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei, den die britische Regierung wegen Sicherheitsbedenken aus dem heimischen Netz ausschließen ließ. Johnsons Kritiker halten Harri vor allem deshalb für keine ideale Besetzung, aber auch andere Personalentscheidungen stießen nicht gerade auf Begeisterung. Am Dienstag etwa wurde der bisherige Unterhaus-Chef der Konservativen, Jacob Rees-Mogg, zum "Staatssekretär für Brexit-Gelegenheiten" ernannt, ein Job, der nun etwas mehr als ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Brexit neu geschaffen wurde. Rees-Moggs berufliche Veränderung ist automatisch mit einer Erhöhung des Jahresgehalts von rund 42 000 Euro verbunden, ihm folgt wiederum der Abgeordnete Mark Spencer als Unterhaus-Chef nach. Gegen Spencer läuft derzeit eine interne Untersuchung, weil er der konservativen Kollegin Nusrat Ghani gesagt haben soll, sie würde ihren Posten in der Regierung auch wegen ihres muslimischen Glaubens verlieren.

Ende Februar kehrt das Parlament zurück - mit Johnson

Und dann ist da noch der Vorfall mit Keir Starmer: Am Montagabend wurde der Oppositionsführer vor dem Parlament von einem aufgehetzten Mob auf der Straße derart angefeindet und bedrängt, dass er von einer Polizeieskorte in Sicherheit gebracht werden musste. Manche der eigentlich gegen die Corona-Impfung Demonstrierenden beschimpften Starmer als "Pädophilen-Beschützer", eine Referenz auf die in rechten Kreisen verbreitete falsche Ansicht, Starmer habe in seiner Zeit als Generalstaatsanwalt eine Anklage des Vergewaltigers Jimmy Savile verhindert. Johnson hatte dies vergangene Woche selbst Starmer vorgeworfen, danach forderten auch mehrere Tories empört, der Premierminister müsse sich dafür entschuldigen. Johnson bemühte seitdem ein paar halbherzige "Klarstellungen", entschuldigte sich aber explizit nicht.

Diesen Donnerstag fliegt Boris Johnson zuerst nach Polen und dann nach Brüssel, das Unterhaus geht in eine Pause. Am 21. Februar kehrt das Parlament wieder zurück, mit Johnson, natürlich. Erst kürzlich zitierte die Times einen Berater Johnsons, er habe klargemacht, dass er Downing Street niemals freiwillig verlassen werde. Dafür, sagte Johnson demnach, müsse man "schon eine Panzer-Division senden".

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