Großbritannien:Fünf für No. 10

Großbritannien: Sie war in ihrer Laufbahn wandlungsfähig, aber die konservativen Medien favorisieren sie: Liz Truss, Großbritanniens Außenministerin.

Sie war in ihrer Laufbahn wandlungsfähig, aber die konservativen Medien favorisieren sie: Liz Truss, Großbritanniens Außenministerin.

(Foto: Toby Melville/Reuters)

Das Rennen um die Nachfolge von Boris Johnson beginnt sich zuzuspitzen. Fünf Kandidaten sind noch übrig, sie bekämpfen sich mit allen Mitteln. Vor allem die überraschende Mitfavoritin Penny Mordaunt bekommt das zu spüren.

Von Michael Neudecker, London

Das Video der jungen Frau, die beim Parteitag der britischen Liberaldemokraten 1994 auf der Bühne steht und den Delegierten unter anderem zuruft: "Wir Liberaldemokraten glauben nicht daran, dass Menschen geboren werden, um zu herrschen", dieses Video wird gerade in den sozialen Medien herumgereicht. Das sagt zweierlei aus.

Erstens, die junge Frau, die damals gegen die Monarchie wetterte, hat einen erstaunlichen Weg zurückgelegt in den vergangenen 28 Jahren. Sie wechselte erst zur monarchiefreundlichen Partei der Konservativen, wo sie später vehement gegen den Brexit eintrat. Sie sagte und twitterte 2016, die Briten würden sicher verstehen, dass es dem Land viel besser gehen würde, wenn es in der EU bliebe, außerdem, dass sie um die Chancen ihrer beiden Töchter fürchte, wenn es zum Brexit käme.

Es folgte der Brexit, und heute ist Liz Truss, die junge Frau von damals, Außenministerin und voller Härte auftretende "Brexiteer". Weil sie sich nun um die Nachfolge von Boris Johnson bewirbt, ergeht es ihr, zweitens, kaum anders als den anderen Bewerberinnen und Bewerbern. Alles wird durchleuchtet, alles wird bewertet.

Das Rennen um den Vorsitz der Konservativen, "Leadership Race" genannt, geht im Parlament nun in seine entscheidende Phase, bis kommenden Donnerstag soll feststehen, welche beiden Kandidaten den Parteimitgliedern zur Wahl vorgeschlagen werden. Fünf sind noch übrig, neben Liz Truss sind das der Ex-Finanzminister Rishi Sunak, die frühere Verteidigungsministerin Penny Mordaunt sowie Kemi Badenoch und Tom Tugendhat. Bis dahin finden mehrere TV-Debatten statt, die von den rund 200 000 Tory-Mitgliedern aufmerksam verfolgt werden dürften. Es geht um den Top-Job im Land, den des britischen Premierministers.

Wer anfangs wie ein Sieger aussieht, kann kurz vor der Ziellinie noch überholt werden

John Curtice, Professor an der Universität Strathclyde in Glasgow und anerkannter Umfragen-Guru im Königreich, hat schon einige dieser "Rennen" verfolgt, die mit ihrem Drängeln und allen möglichen weiteren Tricks den Namen auch verdienen. Curtice ist jetzt 68, weshalb er am Freitag am Telefon sagt, ja, es sei "faktisch akkurat" festzustellen, er habe schon eine gewisse Erfahrung in diesem Thema. Er erinnert an alle möglichen Tory-Rennen in den vergangenen Jahrzehnten, sie alle, sagt er, haben eins gemeinsam: "Sie entwickeln eine beachtliche Dynamik." Heißt: Wer anfangs wie der Sieger aussieht, kann kurz vor der Ziellinie trotzdem überholt werden, wobei Curtice die Vorgehensweise der Bewerber und ihrer Teams höflich zurückhaltend "interessant" nennt. Interessant kann vieles heißen. In diesem Fall bedeutet es wohl, auch wenn Curtice das niemals sagen würde: ganz schön schmutzig.

Noch am Tag von Boris Johnsons Rücktrittsrede begannen die Teams der Bewerber, die sich teilweise seit Monaten auf diesen Tag vorbereitet hatten, der Presse oder der Opposition Informationen über die Konkurrenten zuzuspielen. Kompromittierende private Details sind darunter, aber auch Hinweise auf schwierige Positionen aus der Vergangenheit, wie nun in Liz Truss' Fall. Auch Boris Johnson soll im Hintergrund mitmischen: Es heißt, er versuche, die Abgeordneten zu überzeugen, "jeden, nur nicht Rishi" zu unterstützen.

Großbritannien: Hässlicher Konkurrenzkampf: Penny Mordaunt, frührere Verteidigungsministerin.

Hässlicher Konkurrenzkampf: Penny Mordaunt, frührere Verteidigungsministerin.

(Foto: Rob Pinney/imago)

Im Zentrum des Geschehens befindet sich derzeit Penny Mordaunt, die noch vor ein paar Wochen kaum bekannt war. Sie hat gegenüber Truss und Sunak ein Argument, das vielleicht ein Vorteil sein könnte: Sie steht für etwas Neues. Nur, je größer die Angst vor einem Mitbewerber ist, desto hässlicher wird der Konkurrenzkampf. Am Donnerstag und Freitag war alles Mögliche in den unverhohlen Truss-freundlichen Medien wie Telegraph und Mail über Mordaunt zu lesen, Tenor: Mordaunt sei unfähig.

Zur durchaus berechtigten Angst von Truss und Sunak gebe es zwei relevante Umfragen, sagt John Curtice. In einer Umfrage von Yougov schlägt Mordaunt alle ihre Mitbewerber, und zwar um Längen, in einer anderen des Instituts Opinium liegt Rishi Sunak vorne. Die Opinium-Umfrage wurde zwar bereits kurz vor Johnsons Rücktritt durchgeführt, Curtice aber sagt, sie sei dennoch wichtig, weil sie zeige, was auch einigen in der Partei etwas Sorge bereitet: Niemand weiß so recht, was die Mitglieder wollen.

Großbritannien: Er sei für "jeden, nur nicht Rishi", soll Boris Johnson hinter den Kulissen gesagt haben: Rishi Sunak, der frühere Finanzminister.

Er sei für "jeden, nur nicht Rishi", soll Boris Johnson hinter den Kulissen gesagt haben: Rishi Sunak, der frühere Finanzminister.

(Foto: Peter Nicholls/Reuters)

Und dann hat Yougov noch eine weitere Umfrage durchgeführt, in der ganzen Bevölkerung. Demnach wäre die deutliche Mehrheit der Briten weder für Sunak, Truss, Mordaunt oder die anderen, sondern für: bitte niemanden von diesen fünf. Dass die Wähler nach nun zwölf Jahren Tories genug haben und bei den nächsten Wahlen in spätestens zwei Jahren für Labour stimmen könnten, das ist die größte Angst der Tories. "Der oder die Richtige, um Keir Starmer zu schlagen", das ist eines der Argumente, die man derzeit am häufigsten von den Kandidaten hört.

Eine derartige Perspektivenverschiebung ist zwar eine realistische Betrachtungsweise der aktuellen Lage, allerdings zugleich eine beachtliche für die sonst so selbstbewussten Tories. Aber auch das ist nun eine der Folgen aus drei Jahren Boris Johnson.

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