Großbritannien:Premier Johnson muss sich Misstrauensvotum stellen

Großbritannien: Der britische Premierminister Boris Johnson muss sich einem Misstrauensvotum stellen.

Der britische Premierminister Boris Johnson muss sich einem Misstrauensvotum stellen.

(Foto: WPA Pool/Getty Images)

Am Montagabend entscheiden die Tory-Abgeordneten über die Zukunft des in die Kritik geratenen britischen Premiers. Johnson sieht das Votum als Chance, die "Partygate"-Affäre hinter sich zu lassen.

Showdown in der "Partygate"-Affäre: Nach Monaten der Kritik muss sich der britische Premierminister Boris Johnson einem Misstrauensvotum seiner Konservativen Partei stellen. Nur wenige Stunden, nachdem in London die letzten Klänge der rauschenden "Jubilee"-Sause für Queen Elizabeth II. verstummt sind, geht es am Montag schon wieder um harte Politik - genauer gesagt: um das politische Überleben Johnsons. Noch am gleichen Tag sollten die 359 Parlamentarier der Tory-Partei darüber entscheiden, ob sie weiter von diesem angeführt werden wollen oder nicht. Stimmt eine Mehrheit gegen Johnson, ist er sein Amt als Premier vorerst los.

Am Montagmorgen hatte der Chef des zuständigen Parteikomitees, Graham Brady, in London bekanntgegeben, dass die notwendige Anzahl an Briefen - also mindestens 54 - von Tory-Abgeordneten eingegangen sei. Damit ist die Schwelle von mindestens 15 Prozent erreicht. Darüber habe er den Premierminister bereits am Sonntag informiert.

Jubiläumsfeier der Queen sollte nicht überschattet werden

Die explosive Nachricht, die wohl so manchen noch feierseligen Briten schlagartig ernüchtert haben dürfte, ist kein Zufall: Brady bestätigte auf Nachfrage indirekt, man habe die Jubiläumsfeiern zu Ehren der Queen in den vergangenen Tagen nicht mit der Nachricht überschatten wollen.

Johnson steht innenpolitisch unter Druck, seit im Winter Stück für Stück ans Licht kam, dass in seinem Amtssitz exzessive Partys gefeiert wurden, während der Rest der Briten lange Lockdowns absaß und sich nicht von sterbenden Angehörigen verabschieden konnte.

Immer wieder forderten Parteikollegen öffentlich, Johnson, der die Feierkultur duldete und teilweise sogar mitmachte, solle zurücktreten. Allerdings erreichte die Zahl der Kritiker bislang nie die notwendige Schwelle, um das Misstrauensvotum auszulösen - auch dann nicht, als Johnson für die Teilnahme an einer der Partys ein Strafgeld zahlen musste und damit zum ersten amtierenden Premier wurde, der erwiesenermaßen gegen das Gesetz verstoßen hat. Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine brachte einige Kritiker zeitweise zu der Ansicht, es sei nicht die richtige Zeit für einen Führungswechsel.

Buhrufe beim Jubiläumsgottesdienst

Erst der kürzlich veröffentlichte Untersuchungsbericht der Spitzenbeamtin Sue Gray, der den Verantwortlichen in der Downing Street ein verheerendes Führungszeugnis ausstellte, ermutigte weitere Abgeordnete dazu, ihre Briefe an das einflussreiche 1922-Komitee und dessen Vorsitzenden Brady zu schreiben. Das Fass zum Überlaufen gebracht haben könnten auch Buhrufe aus den Reihen von Royal-Fans, die deutlich zu hören waren, als Johnson am Freitag mit seiner Frau Carrie zum Jubiläumsgottesdienst an der Londoner Kathedrale St. Paul's ankam.

Das Misstrauensvotum, das am Montagabend zwischen 18 und 20 Uhr (Ortszeit) stattfinden soll, bedeutet nicht zwangsläufig Johnsons politisches Ende. 180 Abgeordnete müssten gegen ihn stimmen, um ihn seines Amtes zu entheben. Das gilt als hohe Hürde: Viele Tories fürchten um ihre Ämter oder Parlamentssitze bei der nächsten Wahl, zumal Johnson als begnadeter Wahlkämpfer gilt.

Keir Starmer, Vorsitzender der Labour Party, appellierte an die Tory-Abgeordneten, gegen Johnson zu stimmen. Es sei im "nationalen Interesse", dass der Premierminister verdrängt werde, sagte er im Interview mit LBC Radio. Johnson habe das Vertrauen verloren und außerdem keinen Plan für die Zukunft des Landes.

Unterstützung aus den eigenen Reihen

Mitglieder von Johnsons Kabinetts beeilten sich am Montag auf Twitter, ihrem Premier "100 Prozent Rückendeckung" zuzusichern. Dominic Raab, der stellvertretende Premierminister, schrieb auf Twitter, Johnson habe bei den wichtigen Entscheidungen wie der Sicherung von Impfstoffen, dem Ankurbeln der Wirtschaft und der Unterstützung der Ukraine richtig gelegen. Deshalb müsse man ihn unterstützen.

Nordirlandminister Brandon Lewis, schrieb auf Twitter, Boris Johnson habe sich für seine vergangenen Fehler entschuldigt, man sei es den Wählern schuldig, "sich darauf zu konzentrieren, das Leben besser zu machen".

Am Nachmittag wollte Johnson im Privaten auf seine Parteikollegen einreden. Was ihm außerdem in die Karten spielen könnte: Keiner seiner potenziellen Nachfolgerinnen oder Nachfolger gilt als klare, erfolgversprechende Alternative.

Übersteht der Premier das Votum, darf er sein Amt behalten und ist nach den aktuellen Regeln auch für mindestens ein Jahr sicher. Allerdings gilt allein die Abstimmung als schwerer Schlag. Einen freiwilligen Rücktritt lehnte Johnson, der sich mehrfach für "Partygate" entschuldigte, bislang vehement ab. Die prompte Reaktion aus der Downing Street klang betont siegessicher: Das Votum sei eine Chance für die Regierung, "Monate der Spekulationen zu beenden und einen Strich darunter zu ziehen", hieß es. In jedem Fall deutete sich ein langer Tag in Westminster an: Wie der Showdown um den Party-Premier ausgeht, sollte noch am Montagabend bekanntgegeben werden.

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