Süddeutsche Zeitung

Migrationspolitik:Deutschland will überlebende Flüchtlinge aus Italien holen

Bundesinnenministerin Faeser hat angeboten, bestimmte Opfer des Bootsunglückes vor Crotone aufzunehmen. In Italien wird derweil diskutiert, ob russische Söldner der "Gruppe Wagner" afrikanische Flüchtlinge nach Europa schicken.

Von Marc Beise, und Mirco Keilberth, Kristiana Ludwig und Simon Sales Prado, Berlin/Rom/Tunis

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat nach dem Bootsunglück vor Crotone der italienischen Regierung angeboten, einen Teil der Überlebenden "schnellstmöglich" nach Deutschland zu holen. Das bestätigte ihr Sprecher der Süddeutschen Zeitung.

Menschen, "die einen persönlichen Bezug zu Deutschland haben", würden hier ihr Asylverfahren durchlaufen - sofern sie diesem Wechsel zustimmen. Der rechtliche Rahmen wäre demnach der freiwillige Solidaritätsmechanismus, über den schon in den vergangenen Jahren Migrantinnen und Migranten aus den Mittelmeerstaaten in andere EU-Länder gebracht worden waren.

In diesem Fall habe Italien Deutschland um Unterstützung gebeten, heißt es aus dem Bundesinnenministerium. Die Übernahme der Menschen sei ein "selbstverständlicher Akt der gelebten Solidarität".

Am Wochenende hat Italien erneut 1200 Bootsmigranten aufgenommen

Am 26. Februar war ein voll besetztes Holzboot vor der Küste Kalabriens im Mittelmeer gesunken. Mehr als 79 Menschen, darunter 32 Kinder und Jugendliche, starben. In der vergangenen Woche waren bereits mehrere Leichen nach Deutschland überführt worden. Auch nach dem Unglück treten weiterhin viele Menschen die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer an.

Allein am vergangenen Wochenende hat Italien erneut mehr als 1200 Bootsmigranten aufgenommen. Zugleich demonstrierten am Samstag in der kalabrischen Stadt Steccato di Cutro, vor deren Küste sich das schwere Unglück vor zwei Wochen ereignete, etwa 5000 Menschen gegen das Sterben im Mittelmeer.

Der italienische Verteidigungsminister Guido Crosetto hat derweil die These in die Welt gesetzt, dass Söldner der "Gruppe Wagner", die in Libyen und anderen afrikanischen Ländern im Einsatz sind, dafür mitverantwortlich sein könnten, dass gerade so viele Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien aufbrechen. Das sei "in erheblichem Maße Teil einer klaren Strategie der hybriden Kriegsführung". Letztlich führe der Krieg um die Ukraine auch zu einer "unkontrollierten Einwanderung", um "die am stärksten gefährdeten Länder zu treffen, vor allem Italien", sagte Crosetto.

Der Chef der Söldnertruppe, Jewgeni Prigoschin, wies das auf dem Kommunikationskanal Telegram zurück: "Wir haben keine Ahnung, was in Bezug auf die Flüchtlingskrise passiert und wir befassen uns nicht damit", sagte der Vertraute von Präsident Putin. Und Skepsis ist wohl angebracht. Der libysche Journalist Moutaz Mathi aus Tripolis etwa bezweifelt wie viele andere, die die Milizen in dem Bürgerkriegsland beobachten, dass die Söldner direkt mit den Menschenhändlern zusammenarbeiten.

Kritiker in Italien sprechen von einem Ablenkungsmanöver

Allerdings sichern Wagner-Einheiten Routen und Infrastruktur in Zentrallibyen, die auch von Menschenhändlern genutzt werden", so Mathi. Seit dem Rückzug der Armee von Feldmarschall Khalifa Hafter aus Westlibyen vor zwei Jahren sind die mit ihm verbündeten Wagner-Kämpfer in den Städten Jufra und Sirte stationiert. Menschenschmuggler durchzuwinken und damit Italien unter Druck zu setzen, könnte sowohl Hafter als auch der Söldnertruppe helfen, als Verhandlungspartner anerkannt zu werden. In Tunis wird jedenfalls erwartet, dass die Zahl der Boote, die Richtung Italien in See gehen, in den nächsten Wochen dramatisch ansteigen wird.

In Italien werten Kritiker der Regierung den Vorstoß des italienischen Verteidigungsministers als Ablenkungsmanöver der Rechtsregierung unter Giorgia Meloni. In Italien wird inzwischen zunehmend die Frage diskutiert, warum die Behörden den Flüchtlingen nicht ausreichend helfen. So wirft das Bootsunglück vor Kalabrien nach wie vor viele Fragen auf. Und auch zu einem Unglück am Sonntag mit wohl 30 Toten sind Einzelheiten bekannt geworden, wonach die Gefahr erkannt wurde, aber niemand zu helfen bereit war.

Darüber hinaus ist auch aufgefallen, dass Meloni es Staatspräsident Sergio Mattarella überlassen hat, in Cotrone den Opfern die letzte Ehre zu erweisen. Dass sie aber sehr wohl Zeit hatte, am Wochenende bei der Feier zum 50. Geburtstag ihres Koalitionspartners Matteo Salvini aufzutauchen, einem unerbittlichen Gegner von Rettungsaktionen. Im Netz kursiert ein Video von der privaten Feier, bei der Meloni sich mit Salvini in bester Stimmung an Karaoke versuchte.

Die Regierungschefin hat sich auch nicht wirklich von jenen Vertretern ihrer Koalition distanziert, die die Schuld an solchen Katastrophen beharrlich den Flüchtenden selbst zuweisen, die schließlich auch zu Hause hätten bleiben könnten. Wieder blieb es Staatspräsident Mattarella vorbehalten, passende Worte zu finden. Beim Staatsbesuch in Kenia sprach er am Dienstag von einem "epochalen Problem", das neue Lösungen auf europäischer Ebene erfordere. Da immerhin ist er sich mit Meloni einig.

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