Bonn:Verrat

Ausgerechnet die Rheinländerin Barbara Hendricks hat sich wohl vorgenommen, so viele Ressorts wie möglich nach Berlin zu holen. Als Ausgleich soll Bonn mehr Ämter bekommen.

Von Kristiana Ludwig

Das Büro von Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) befindet sich auf einer Baustelle. Der Teppichboden vor ihrer Tür wurde in Streifen zerteilt und zu Würsten gerollt, auf dem Fenstersims gegenüber liegen eingeklappt die Lamellen. Hier, vor ihrem Arbeitszimmer in Bonn, wird Hendricks in letzter Zeit nicht oft gesehen. Vielleicht liegt das am Sanierungslärm - vielleicht aber auch daran, dass sie dieses Büro mitsamt dem ganzen Ministerium, in dem es sich befindet, abschaffen will.

Seit Oktober versetzt Hendricks nicht nur ihr Haus, sondern das ganze politische Bonn in Aufregung. Da wurde bekannt, dass sie bereits seit Monaten einen Arbeitsstab eingesetzt hat, der die Regierungssitze Bonn und Berlin unter die Lupe nehmen soll. Nach der Sommerpause will Hendricks dem Kabinett einen Statusbericht darüber vorlegen. Bei einem Gespräch mit Bundestagsabgeordneten aus dem Bonner Wahlkreis wurde sie nun deutlicher: Die Entscheidung vor 25 Jahren, einen Teil der Ministerien in Bonn zu belassen, sei "aus heutiger Sicht ein Fehler".

Für Hendricks scheint klar zu sein: Heute würde ein zweiter Regierungssitz in Bonn keine Mehrheit im Bundestag mehr bekommen. Wenn es nach ihr geht, wird Bonn deshalb künftig eher ein Standort für Bundesämter als für Ministerien sein. Schon Anfang Oktober sprach Hendricks davon, "genügend Arbeitsplätze" in "oberen Bundesbehörden" zu erhalten und "nicht zwingend in Ministerien". Später ruderte sie zurück: Die Prüfung sei "ergebnisoffen", heißt es jetzt offiziell.

Barbara Hendricks hat sich ein Relikt aus der Wiedervereinigung vorgenommen, an dem die Rheinländer bis heute besonders hängen: Das Berlin-Bonn-Gesetz regelt seit 1994, welche Ministerien ihren Schwerpunkt in Berlin haben sollen, welche in Bonn. Sechs der 14 Ressorts haben deshalb noch ihren Hauptsitz in Nordrhein-Westfalen, etwa jene für Verteidigung, Umwelt, Entwicklungspolitik oder Forschung. Außerdem soll, laut Gesetz, "der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten" bleiben. Dabei sieht die Realität längst anders aus. Tatsächlich bekleideten Bonner im vergangenen Jahr nur noch 32 Prozent der Ministeriumsstellen. Nachdem im Jahr 2000, kurz nach dem Regierungsumzug, noch 60,8 Prozent der Mitarbeiter am Rhein saßen, verschob sich dieses Verhältnis Jahr für Jahr um ein paar Prozentpunkte in Richtung Berlin. Zuletzt holte etwa Innenminister Thomas de Maizière (CDU) seine Sport-, Integrations- und Krisenexperten in die Hauptstadt, und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verlagert bald die Zollabteilung nach Berlin. "Rutschbahn", nennen das die Bonner.

Mittlerweile ist ein kleiner Teil der Weltregierung an den Rhein gekommen

Vielen Berliner Politikern kann es gar nicht schnell genug rutschen. Hier fordert man seit Jahren ein Ende der Dienstreisen zwischen dem Rhein und der Spree. "Ein Umzug in Zeitlupe wird den Steuerzahler Millionen kosten", sagt etwa die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch. Sie kritisiert auch den Oberbehörden-Vorschlag von Hendricks. Ein "Scheinumzug" sei das.

Einige Ministerien haben längst begonnen, neue Ämter in Bonn anzusiedeln. Vor acht Jahren verlagerte das Bundesjustizministerium sein Registerwesen in ein Bundesamt für Justiz. Ab 2016 wird auch die Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) in Bonn eine "oberste Bundesbehörde" führen, heißt es vom zuständigen Innenministerium. Und Finanzminister Schäuble richtet gerade eine Generalzolldirektion am Rhein ein. Bereits seit Jahren versetzen Ministerien ihre Beamten in nachgeordnete Behörden im Bonner Raum.

Verteidigungsministerium Bonn Hardthöhe

Das Verteidigungsministerium hat seinen Hauptsitz nach dem Bonn-Berlin-Gesetz noch immer am Rhein. Doch die Kritik an dieser Regelung nimmt zu.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Aus einem Bericht der Bundesregierung, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt, geht hervor, dass allein das Finanzministerium seit dem Regierungsumzug 1999 mehr als 110 Beamte in Behörden in Bonn versetzt hat. Beim Verkehrsministerium waren es mindestens 30 Mitarbeiter, die zu Ämtern im Rheinland wechselten. Für die Bonner Bundestagsabgeordneten ist diese Entwicklung ein Affront. "Das ist keine faire Arbeitsteilung", sagt Ulrich Kelber. Auf seiner Webseite präsentiert sich der SPD-Abgeordnete in Boxhandschuhen. Mit seinen Fäusten hält er ein Schild, darauf steht: "Bundesstadt Bonn". Kelber ist der Mann, der im Bundestag seit Jahren den Widerstand gegen die Rutschbahn organisiert.

Hinter ihm steht eine Koalition aus allen Parteien: die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katja Dörner, trifft sich ebenso regelmäßig mit Kelber wie Claudia Lücking-Michel von der CDU. Sie entscheiden zusammen: "Ist das was, zu dem wir was sagen müssen, oder ist das nur ein Stöckchen, über das wir springen". Kelber schickt die SMS an alle, dann verfassen sie eine Pressemitteilung. Gemeinsam. Zuletzt gab es Lob für Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU): Dessen Ankündigung, sein Standort in Bonn solle im vollen Umfang erhalten bleiben, sei "die ideale Voraussetzung für die angekündigten Gespräche über die dauerhafte Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn". Gröhes Wahlkreis ist Neuss am Rhein.

Der neue Oberbürgermeister von Bonn, Ashok Sridharan (CDU) sagt: "Ich möchte alle Minister auffordern, regelmäßig vor Ort zu sein". Sridharan hat in den vergangenen Monaten Wahlkampf damit gemacht, Bonn als "internationale Stadt" zu bewerben. Er sagt, ohne die Ministerien sei Bonn für weltweite Organisationen und UN-Einrichtungen nicht mehr attraktiv - mit wem sollten sie verhandeln? Im Berlin-Bonn-Gesetz steht auch, dass die "Folgen des Verlustes" durch Institutionen von "nationaler und internationaler Bedeutung" ausgeglichen werden sollen.

Bonn nennt sich jetzt "UNO-Stadt", 18 Organisationen der Vereinten Nationen haben hier nun ihren Sitz. Sridharan sagt, so gesehen hingen 27 000 Arbeitsplätze an der Regierungspräsenz. Verdi-Bereichsleiter Onno Dannenberg fordert von der Bundesregierung, Positionen in Bonn anzubieten, die Mitarbeiter nicht schlechterstellen, wenn sie sich gegen Berlin entscheiden. Dort arbeiten mittlerweile 68 Prozent der Mitarbeiter in den Ministerien. Obwohl es laut Gesetz doch andersherum sein sollte. Selten hat die Politik sich so lange und so bewusst nicht an die eigenen Regeln gehalten.

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