Bombennacht vom 13. Februar 1945:Zerstörung von Dresden rettete Michals Bruder das Leben

Michal Salomonovic mit seinem kleinen Bruder Josef. KZ Auschwitz Juden Holocaust

Michal Salomonovič mit seinem kleinen Bruder Josef. Das Foto entstand vor der Deportation der Familie.

(Foto: Oliver Das Gupta)

Für die Nazis musste Michal Salomonovič in einer Dresdner Munitionsfabrik schuften. Der ehemalige KZ-Häftling hat einen besonderen Blick an die Luftangriffe der Alliierten.

Von Oliver Das Gupta, Straubing

Michal Salomonovič kam 1933 in Ostrava (Mährisch Ostrau) zur Welt. Als Kind erlebte er, wie Hitler-Deutschland die Tschechoslowakei zerstörte und besetzte (hier mehr dazu). Die jüdische Familie Salomonovič wurde diskriminiert, sein Vater zur Zwangsarbeit eingezogen.

1941 deportierte man Michal mit seinem kleinen Bruder Josef - Jahrgang 1938 - und den Eltern ins Ghetto des besetzten polnischen Łódź (damals umbenannt in Litzmannstadt). Dort wurde Michal als Schlosser angelernt. Dann schaffte man die Familie ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Salomonovič sagt heute, er habe damals sehr schnell realisiert, dass in Auschwitz massenhaft gemordet wurde.

"Die Deutschen entschieden in Auschwitz, ob die Menschen durch Gas vernichtet werden sollten oder durch Arbeit. Meine Familie und ich waren vorgesehen für die Vernichtung durch Arbeit. Darum wurden wir von Auschwitz wieder weggebracht, zuerst im Viehwaggon ins KZ Stutthof. Dort wurde mein Vater ermordet.

Meine Mutter, Josef und ich wurden danach nach Dresden gebracht. Vor der Abfahrt hat ein Schreiber meinen Bruder auf der Transportliste zu einer Josefa und mich zu einer Michaela gemacht. Auf diese Weise konnten wir mit unserer Mutter zusammenbleiben."

Bombennacht vom 13. Februar 1945: Die im KZ Stutthof angelegte Personenkarte von Michal Salomonovič.

Die im KZ Stutthof angelegte Personenkarte von Michal Salomonovič.

(Foto: Oliver Das Gupta)

Die Salomonovičs kamen am 24. November 1944 in Dresden an. Zusammen mit etwa 500 weiteren Arbeitssklaven wurden sie in eine ehemalige Zigarettenfabrik in der Schandauer Straße 68 gepfercht. Den ganzen Tag stand Michal an einer Fräse. Der Zwölfjährige schnitt einen Metallstab in exakt gleich große Stücke. Es waren Projektile, die anschließend ummantelt wurden: Munition. Jeden Tag - auch an den Sonntagen - mussten die Häftlinge schuften, zwölf Stunden, mittags gab es Suppe.

"Wenn das vorgegebene Tagessoll nicht erreicht wurde, mussten wir länger arbeiten. Also haben wir langsam gearbeitet, aber die Norm gerade so erfüllt - aber nicht übertroffen. Das war unsere Form von Widerstand. Eine echte Sabotage war nicht möglich, denn dafür waren die Kontrollen zu genau.

Die Wehrmacht holte die fertige Munition ab. Dabei war ein Luftwaffenoffizier in bläulicher Uniform. Er scheint irgendeine Kriegsverletzung gehabt zu haben und unterschied sich von den anderen Soldaten. Er war freundlich zu uns Juden. Er fragte, wie es uns geht."

Von der architektonischen Schönheit Dresdens sah Michal nichts. Die Fabrik im Stadtteil Striesen durften die Häftlinge nicht verlassen.

"Männer und Frauen von der SS bewachten uns Tag und Nacht. Am 13. Februar 1945 kamen andere SS-Leute, um die Fabrik zu inspizieren. Die Kontrolleure entdeckten meinen kleinen Bruder Josef und sagten zu den Bewachern: Das Kind muss bis morgen weg sein. "Jawohl", sagten unsere Wächter. Sie sollten Josef töten. Für die Nazis war er nur ein 'unnützer Esser'.

In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar heulten die Sirenen. Wir Häftlinge waren im oberen Teil des Luftschutzkellers, die SS-Leute und andere Deutsche im unteren Teil. Oben, im Schlafraum, blieben die kranken Häftlinge. Sie wurden alle getötet. Wir haben zwei Angriffswellen mitbekommen. Unsere Fabrik wurde von den Bomben getroffen, der obere Teil des Gebäudes verbrannte.

Der einzige freundliche Deutsche brachte sich um

Bombennacht vom 13. Februar 1945: Josef Salomonovič mit seiner Mutter.

Josef Salomonovič mit seiner Mutter.

(Foto: Oliver Das Gupta)

"Morgens sind wir aus dem Keller rausgekommen. Um uns herum war alles kaputt, die Bäume waren verbrannt. Die Straßen waren so heiß, dass sie klebten. Wir mussten Trümmer räumen. Ich habe mithelfen müssen, nicht gezündete Bomben und Bombenteile freizulegen. Die erwachsenen Häftlinge haben Leichen herausgezogen.

Dass mein Bruder getötet werden sollte, hatte die SS wegen des Luftangriffs vergessen. Das Bombardement hat ihm das Leben gerettet. Der Luftwaffenoffizier, der immer freundlich zu uns war, ist kurz danach gestorben. Er hat sich aufgehängt.

Wenig später wurden wir Häftlinge nach Pirna gebracht und dann wieder nach Dresden. Wir mussten dort wieder aufräumen."

Die SS trieb Michal, Josef, seine Mutter und andere KZ-Häftlinge von Dresden nach Süden, ins "Protektorat Böhmen und Mähren", wie die deutschen Besatzer die tschechische Heimat nach der Invasion von 1939 nannten (hier mehr dazu). Der Todesmarsch endete für die Familie Salomonovič erst nach mehreren Wochen und etwa 200 Kilometern mit einem alliierten Tieffliegerangriff Ende April oder Anfang Mai.

"Wir liefen durch Westböhmen, immer wieder drangsalierte die SS uns. Offensichtlich sollten wir ins KZ Flossenbürg nach Bayern laufen. Doch dazu kam es nicht. Ein Jagdflieger griff an. Die SS-Leute befahlen, dass wir uns in den Graben neben der Straße legen. Nachdem das Flugzeug gefeuert hatte, befahlen unsere Bewacher, weiterzumarschieren.

'Dalli, dalli', riefen die SS-Leute und: 'Weiter, Saujuden'. Sie schossen in die Luft. Unsere Mutter sagte uns, dass wir still im Graben bleiben sollten. Die SS-Bewacher hatten es sehr eilig, weil sie die Rote Armee fürchteten. Sie jagten die anderen Häftlinge weiter. Bei uns haben sie nicht mehr nachgesehen, das war unser Glück. Die SS glaubte offenbar, der Flieger hätte uns getötet. So haben wir uns liegend befreit."

Michal Salomonovič

Michal Salomonovič während des Gesprächs im niederbayerischen Straubing.

(Foto: Oliver Das Gupta)

Nach dem Krieg studierte Michal Salomonovič Maschinenbau. Er lebt heute in Ostrava und besucht Schulen in Tschechien und Deutschland. Zeitzeugen wie er sollten weitergeben, was sie erlebt haben, solange sie noch könnten, sagt Salomonovič.

Ihm ist es wichtig, zu differenzieren: "Es gab nicht nur Nazis, sondern auch andere Deutsche", sagt er nach einem Schulbesuch im niederbayerischen Straubing. Dort hat er vor Neuntklässlern gesprochen. Salomonovič findet, dass deutsche Schüler viel über die NS-Zeit wüssten, er erlebt sie offen und interessiert: "Was ich ihnen immer sage: Euch junge Deutsche trifft keine Schuld."

Als die Rechten am Jahrestag der Bombardierung Dresdens marschierten, war Michal Salomonovič bei den Gegendemonstranten.

Die ehemalige Fabrik in Dresden wurde nach dem Krieg wiederaufgebaut. Während der DDR-Zeit hat Salomonovič nach Dresden wegen des Gebäudes geschrieben. Die Antwort der Behörden: Es gab keine solche Fabrik in der Schandauer Straße. Inzwischen ist an dem Gebäude eine Tafel angebracht, auf der an die Sklavenarbeit der KZ-Häftlinge erinnert wird.

Bei der Autorisierung seiner Zitate hat Salomonovič nur eine Anmerkung. Ihm sei noch ein unbedeutendes Detail eingefallen, sagt er. Die Familie habe früher Salomonowitsch geheißen. Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg habe man den Eltern zur Änderung in Salomonovič geraten. "Weil die Endung '-witsch' deutsch war."

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