Bombardierung von Coventry:Ein deutscher Luftangriff als Vorbild für die Briten

Luftschlacht um England im 2. Weltkrieg: Bombardierung von Coventry (1940)

20 000 Häuser unbewohnbar: Helfer räumen in einem am 14. November 1940 verwüsteten Wohnviertel in Coventry Trümmer.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Am 14. November 1940 legten deutsche Bomber Teile von Coventry in Schutt und Asche. Die Briten ließen sich nicht demoralisieren - sie kopierten stattdessen die Strategie der Luftwaffe.

Von Esther Widmann

Am 14. November 1940 gegen sieben Uhr abends erreichten die ersten Bomber die Stadt Coventry in Mittelengland. Zehn Stunden später waren 570 Menschen tot, 800 schwer verletzt und das mittelalterliche Stadtzentrum ausradiert. Der zynische Deckname, den die Deutschen dem nächtlichen Luftangriff verliehen hatten: "Unternehmen Mondscheinsonate", benannt nach einem der beliebtesten Klavierwerke Beethovens.

Seit Juni des Jahres 1940 hatte es immer wieder deutsche Angriffe auf Städte in England gegeben, auch auf Coventry. Die Menschen waren es gewöhnt, in Bunkern zu sitzen oder zum Schlafen Unterkünfte außerhalb der Stadt zu nutzen. Doch die Bombardierung von Coventry am 14. November 1940 war etwas anderes. Sie wurde zum Symbol für den Krieg aus der Luft, nicht nur wegen der Wortneuschöpfung "coventrieren", mit der die Nazi-Propaganda diese Methode der Zerstörung beschrieb. Und sie wurde zum Vorbild für die Angriffe, mit denen die Royal Air Force in den folgenden Jahren deutsche Städte in Schutt und Asche legte.

"Die Aktion dauerte länger als jeder andere Luftangriff zuvor", sagt der britische Historiker Frederick Taylor, der sich in seinem jüngsten Buch mit der Bombardierung von Coventry beschäftigt. "Lange genug, dass einige Piloten nach dem ersten Abwurf zurück über den Ärmelkanal fliegen, tanken, neue Bomben laden und auch diese über Coventry abwerfen konnten."

Die Abfangjäger sehen die Bomber einfach nicht

Sie konnten das fast ungestört tun. 1940 bestand die Verteidigung gegen Bomber hauptsächlich aus Sperrballons, die mit Seilen am Boden befestigt waren und die Flugzeuge behindern sollten. Abfangjäger waren völlig ineffektiv, weil sie noch kein Radar an Bord hatten - das kam erst Anfang 1941. Taylor zitiert aus einem Interview mit einem der Nachtjäger-Piloten, die am 14. November 1940 versuchten, die deutschen Flieger abzuschießen: Die Lotsen am Boden hätten ihm über sein Funkgerät gesagt: "Schau doch, da sind überall Bomber, überall!" Aber der Pilot konnte sie einfach nicht sehen.

Die Piloten der Luftwaffe hatten dieses Problem nicht. Die Deutschen hatten ein System von Radarleitstrahlen entwickelt, das sogenannte X-Gerät. Die Sendestationen in Nordfrankreich sandten einen Hauptsignalstrahl aus, an dem die Bomber sich entlanghangelten. Stark vereinfacht gesprochen lag dort, wo diesen Strahl ein zweites Signal kreuzte, das Ziel.

Weil die Technik sehr teuer war, waren nur wenige Flugzeuge damit ausgestattet. Also übernahmen diese für alle nachfolgenden die Aufgabe der Zielbeleuchtung: Sie warfen Leuchtgeschosse und Brandbomben ab, um das Ziel für die nachfolgenden Piloten zu markieren.

Die ausgebrannte Kathedrale wird zur Ikone

Diese Strategie wurde zum Vorbild für die Luftangriffe der Royal Air Force auf Nazi-Deutschland: "Die ersten Bomben auf die Stadtmitte zu werfen, zerstört die Telefonzentrale, die Kanalisation, die Stromversorgung, die Wasserversorgung und die Gasversorgung, die alle aus dem Zentrum kontrolliert werden", erklärt Taylor. "Außerdem sind viele Straßen dann blockiert. So lähmt man die Verteidigung und die Rettungsdienste."

Ganz so schlimm wie zunächst angenommen - und von den Nationalsozialisten dargestellt - war der Angriff nicht, auch wenn 20 000 Häuser für unbewohnbar erklärt werden mussten. Die Schäden an den Industrieanlagen, darunter viele Rüstungsfabriken, stellten sich schon bald als viel geringer heraus als befürchtet.

In der öffentlichen Wahrnehmung blieb vor allem ein Bild zurück: Das der gotischen Kathedrale St. Michael aus dem 13. Jahrhundert, von der nur noch die Außenmauern stehen, das Dach abgebrannt, die Fenster zerborsten, das Innere gefüllt mit Schutt.

"Der Grund, weshalb die mittelalterliche Kathedrale abgebrannt ist, war die Ausschaltung der Rettungsdienste: Die Feuerwehrleute hatten kein Wasser, um die Brände zu löschen", sagt Taylor. "Und die Propaganda schlachtete das dann vollends aus. Für viele Menschen in den USA, die bis dahin eine eher zynische Haltung gegenüber dem europäischen Krieg eingenommen hatten, war die völlig zerstörte Kathedrale ein Grund, die Briten zu unterstützen." Der Leitartikel der New York Times forderte wenige Tage nach dem Angriff, die Lieferung von Waffen und Flugzeugen zu verstärken.

Sie hätten es besser wissen können

Das Erstaunlichste aber an der Bombardierung von Coventry durch die Luftwaffe war für Taylor: Die Militärführung des Vereinigten Königreiches übernahm die Strategie der Luftwaffe eins zu eins für die Bombardierung deutscher Städte - und schätzte die Wirkung solcher Angriffe auf die deutsche Bevölkerung doch völlig falsch ein. Die Bevölkerung von Coventry ließ sich durch Bombenangriffe nicht demoralisieren. Die Menschen funktionierten weiter, auch wenn viele von ihnen sicher traumatisiert waren. Trotzdem war das erklärte Ziel der britischen Angriffe, die Moral der deutschen Bevölkerung zu brechen. "Dabei hätten sie das doch alles aus eigener Erfahrung wissen können - aus Coventry", sagt Taylor.

Vor dem Buch über Coventry hat Taylor eines über die Bombardierung von Dresden geschrieben, immer wieder zieht er Parallelen. Denn in gewisser Weise war es der deutsche Angriff auf Coventry, der den der Alliierten auf Dresden 1945 bedingte. "Coventry", sagt er, "als die erste Massenbombardierung einer Stadt ist das Alpha des Bombenkriegs, Dresden das furchtbare Omega."

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