Homosexuelle in Brasilien:Als hätte Bolsonaro schon gewonnen

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Protest gegen Bolsonaro unter den Regenbogenfarben: Im Wahlkampf in Brasilien haben die Attacken auf Homosexuelle und Andersdenkende stark zugenommen. (Foto: AFP)

Der womöglich nächste Präsident Brasiliens schürt Hass auf alle, die anders sind als er. Unter Homosexuellen geht die Angst um - viele beginnen schon, sich zu verstecken.

Von Benedikt Peters

Manchmal sind es die kleinen Dinge, an denen man merkt, dass sich gerade etwas Großes verändert. Renan Silva hat seit einiger Zeit das Gefühl, dass er sich umschauen muss. Er würde jetzt nicht mehr einfach Händchen halten oder jemanden küssen, auf der Straße, im Park, im Kino, wie er es noch vor ein paar Wochen tat. "Ich habe Angst, dass ich verprügelt werde", sagt er. Er küsst jetzt nur noch, wenn er glaubt, dass ihn niemand beobachtet.

Renan Silva ist Ende zwanzig, er lebt in São Paulo und hat in Wirklichkeit einen anderen Namen. Er will auf keinen Fall, dass der in der Zeitung steht. Nicht jetzt, nicht im Brasilien des Jahres 2018. Renan Silva ist homosexuell, wie viele andere Brasilianerinnen und Brasilianer, und er macht sich große Sorgen.

In der viertgrößten Demokratie der Welt schickt sich gerade ein Mann an Präsident zu werden, dessen Programm zu einem wesentlichen Teil aus Hetze besteht. Jair Bolsonaro hat vor und während seines Wahlkampfs so ziemlich alles verunglimpft, das anders ist als er - weiß, männlich und heterosexuell.

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Der Abgeordneten einer gegnerischen Partei hat er im Parlament zugerufen, sie sei es nicht wert, von ihm vergewaltigt zu werden. Er hat Indigene und Afrobrasilianer beleidigt und linke Politiker als "Müll" bezeichnet. Die vielleicht drastischsten Worte hat er über Menschen wie Renan Silva gesagt. In einem Interview mit dem Playboy erzählte er: "Ich könnte keinen schwulen Sohn lieben. Ich hätte lieber, dass er bei einem Autounfall sterben würde." Ein anderes Mal äußerte er die Vermutung, viele Männer würden dadurch schwul, dass sie Drogen nähmen.

"Passt auf, Ihr Ungeziefer! Bolsonaro wird die Schwulen töten"

Man könnte solche Sätze als bloßes Getöse abtun, als rhetorische Masche eines skrupellosen Politikers, der mit dem Schüren von Ressentiments an die Macht kommen will. Das aber wird dem nicht gerecht, was sich gerade in Brasilien abspielt. Ähnlich wie Donald Trump in den USA verschiebt Bolsonaro durch seine Parolen die Grenzen des Sagbaren - und damit auch die Grenzen dessen, was man tun darf. Zumindest glauben das einige seiner Anhänger.

Am 7. Oktober erzielte Bolsonaro einen überraschend deutlichen Sieg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, es fehlte nicht viel bis zur absoluten Mehrheit. In der Stichwahl am kommenden Sonntag gegen Fernando Haddad von der linken Arbeiterpartei ist er der deutliche Favorit. Es war in diesen Tagen nach dem 7. Oktober, als Renan Silva, der junge Mann aus São Paulo, wusste, dass er sich in Zukunft würde verstecken müssen.

In der Metro seiner Heimatstadt sangen ein paar Bolsonaro-Wähler ein Lied: "Passt auf, Ihr Ungeziefer! Bolsonaro wird die Schwulen töten." Der Vorfall stand danach in den Zeitungen, genauso wie ein Übergriff in der Millionenstadt Belo Horizonte: Eine Transfrau wurde dort in ein Auto gezerrt, geschlagen und bespuckt, auf ihrem Körper sollen Zigaretten ausgedrückt worden sein. In Manaus wurde ein homosexueller Mann von einem Taxifahrer mit dem Tode bedroht.

Bolsonaro hat solche Taten als Einzelfälle bezeichnet. Journalisten haben jedoch dokumentiert, dass es Anfang Oktober binnen zehn Tagen bereits zu 70 politisch motivierten Attacken kam, von denen die überwiegende Mehrheit von Anhängern Bolsonaros verübt wurde. Nicht nur Schwule und Lesben wurden angegriffen, sondern auch schlicht Andersdenkende. Manche Übergriffe endeten tödlich, wie der auf einen schwarzen Capoeira-Lehrer, der öffentlich bekundet hatte, er werde gegen den rechtsextremen Politiker stimmen.

Die Probleme Brasiliens mit Homophobie sind nicht neu. Die heftige Polarisierung, die das Land in so vielen Bereichen durchzieht - zwischen arm und reich, weiß und schwarz, hochentwickelten urbanen Zentren und abgehängter Peripherie - gibt es auch beim Thema Homosexualität. 2013 führte Brasilien per Gerichtsentscheid die gleichgeschlechtliche Ehe ein, das Land galt damals als progressives Vorbild für das streng katholische Lateinamerika, viele andere Staaten zogen bald nach.

In den Städten tat sich danach etwas. Wer zum Beispiel an den berühmten Strand von Ipanema in Rio de Janeiro geht, der findet dort zwischen den Strandbuden Posto 8 und Posto 9 einen Abschnitt, in dem Homosexuelle völlig selbstverständlich neben- und aufeinander auf ihren Handtüchern liegen.

Andererseits lehnen Millionen Brasilianer jegliche gesellschaftliche Liberalisierung vehement ab. Die evangelikalen Kirchen, die zum Beispiel gegen Abtreibungen und die gleichgeschlechtliche Ehe wettern, haben seit Jahren starken Zulauf. Im Wahlkampf unterstützen sie Bolsonaro, das sichert ihm einen nicht unerheblichen Teil seiner Stimmen. Auch in den vergangenen Jahren kam es häufig zu homophoben Übergriffen und sogar Morden. Im Frühjahr etwa wurde die offen lesbisch lebende schwarze Stadträtin Marielle Franco erschossen.

Dass sich Homosexuelle aber selbst in den Großstädten grundsätzlich nicht mehr sicher fühlen, ist neu. Und so könnten auch die Schwulen und Lesben am Strand von Ipanema bald verschwinden.

Renan Silva sagt, dass er noch auf ein Wunder hofft. Dass Bolsonaros Gegner Fernando Haddad irgendwie aufholt, dass er die Stimmung vor der Wahl noch drehen kann. Anderseits aber ist in Brasilien schon jetzt viel kaputtgegangen. "Die Angst, zu sagen wie ich denke und fühle, die ist ja da", sagt er. "Es ist, als hätte Bolsonaro schon gewonnen."

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