Bolivien:Bitteres Erwachen

Präsident Morales spricht von einem Putsch gegen ihn. Das ist nicht ganz falsch, doch trägt er eine gehörige Mitschuld daran.

Von Christoph Gurk

Kurz nach dem Rücktritt von Evo Morales brach vollends das Chaos aus. In La Paz brannten am Sonntag nach Einbruch der Dunkelheit ein Dutzend Busse aus und Geschäfte wurden geplündert. Am Morgen war die Stadt ein Scherbenhaufen - und tragischerweise könnte dies ein Vorgeschmack sein auf das, was dem Land in den nächsten Wochen bevorsteht.

Auf der einen Seite ist das die Schuld von Evo Morales selbst. Fast 14 Jahre hat er sein Land regiert. Millionen sind in dieser Zeit aus der Armut aufgestiegen, die Wirtschaft wächst. Es gibt mehr weibliche Abgeordnete als in jedem anderen Land Lateinamerikas, und Bolivien ist qua Verfassung ein plurinationaler Staat. Bei allen Verdiensten versanken Morales und seine Partei aber zunehmend auch in Selbstherrlichkeit. Öffentliche Posten wurden fast nur noch mit Parteimitgliedern besetzt. Der Präsident machte keine Anstalten, einen Nachfolger aufzubauen, stattdessen klammerte er sich an die Macht. Erst beugte Morales per Richterspruch die Verfassung, um weiter im Amt bleiben zu können. Dann ließ er anscheinend die Abstimmungsergebnisse der letzten Präsidentenwahl fälschen, um sich nicht einer Stichwahl stellen zu müssen. Morales wusste, dass die Zeiten der üppigen Mehrheiten für ihn vorbei sind. Viele Bolivianer wollen einen Wandel und nicht "Evo for Ever". Und sogar das Militär, das von Morales immer hofiert und üppig finanziert worden war, stellte sich am Schluss gegen ihn.

Wenn Morales nun von einem Putsch spricht, ist das nicht falsch. Die Voraussetzungen aber hat er selbst geschaffen. Es wäre an der Zeit, sich das einzugestehen, auch um seine Anhänger zu beruhigen und einen friedlichen Übergang zu gewährleisten.

Allerdings - und das ist das Problem - hat auch die Opposition scheinbar keinerlei Interesse an geordneten Verhältnissen. Schon in den Tagen vor dem Rücktritt hat sie jedes Angebot zum Dialog ausgeschlagen. Als Morales am Sonntag dann den Weg für Neuwahlen frei machte, war auch das nicht genug. Der Präsident sollte weg, sofort. Dass so am Ende ein Machtvakuum entstanden ist, störte nicht weiter. Im Gegenteil: Viele der Minister und Abgeordneten, die gemeinsam mit Morales zurückgetreten sind, taten das nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus Angst um Leib und Leben. Wohnungen wurden angesteckt, Regierungsgegner plünderten allem Anschein nach sogar das Haus von Morales. Videos davon gelangten ins Netz. Auch das wahrscheinlich kein Zufall.

Bolivien ist nach mehr als einer Dekade politischer Stabilität ein tief gespaltenes Land. Auf der einen Seite ist da das Hochland, geprägt von seinen vor allem indigenen Bewohnern und ihrer Kultur. Auf der anderen Seite ist da das Tiefland. Hier leben vor allem Nachfahren europäischer Einwanderer, von denen viele zur wirtschaftlichen Elite des Landes gehören. Und so kommt auch einer von Morales' derzeit größten Widersachern aus der Provinz Santa Cruz im Tiefland: Luis Fernando Camacho, ein Anwalt und christlicher Fundamentalist, der eine rechtskonservative Bürgerbewegung anführt. Camacho trägt den Beinamen "Macho" und er kultiviert von sich selbst das Bild des starken, unbestechlichen Mannes. Ein Profil, das in Lateinamerika immer dann Popularität genießt, wenn die Zeiten besonders chaotisch sind.

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