Süddeutsche Zeitung

Börsen:Im Zwischenhoch

Der Dax stieg deutlich, als der Brexit-Kompromiss am Donnerstag bekannt wurde. Doch dann kehrte rasch Ernüchterung ein. Das britische Pfund dagegen reagiert stark, sein Wert legt derzeit so kräftig zu wie seit Jahrzehnten nicht.

Von Harald Freiberger

Pünktlich um 11.15 Uhr ging es steil nach oben. Als am Donnerstag bekannt wurde, dass sich Boris Johnson mit der EU auf ein Austrittsabkommen geeinigt hat, stieg der Deutsche Aktienindex (Dax) binnen weniger Minuten um rund ein Prozent auf 12 814 Punkte. Das war der höchste Stand seit 14 Monaten. Ein Brexit ohne Vertrag hätte den Handel mit Großbritannien stark behindert. Wenn er nun nicht kommt, wäre das gerade für die exportlastige deutsche Wirtschaft gut.

Im Laufe der nächsten Stunden kehrte allerdings Ernüchterung ein. Den Händlern an der Börse wurde klar, dass einem Abkommen noch ein großes Hindernis im Weg steht. Das britische Parlament müsste am Samstag zustimmen, und Premier Boris Johnson hat keine eigene Mehrheit. Vor allem, als die ihm eigentlich wohlgesonnenen nordirischen Protestanten erklärten, dass sie sich gegen das Abkommen aussprechen werden, ging es mit den Kursen wieder nach unten. Bei Handelsschluss stand der Dax noch mit 0,1 Prozent im Plus. Ähnlich dünn waren die Gewinne an anderen europäischen Börsen. Euphorie an den Finanzmärkten sieht anders aus.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht trotzdem einen gewaltigen Fortschritt in der Einigung von Johnson mit der EU. "Der Premierminister hat erreicht, was er wollte, nämlich eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland zu vermeiden", sagt er. Johnson kehre deshalb gestärkt auf die Insel zurück. Er tue sich nun leichter, an die staatspolitische Räson zu appellieren und Abgeordnete auf seine Seite zu ziehen. Seine Chancen stünden jedenfalls besser, eine Einigung mit der EU durch das Parlament zu bekommen, als die seiner Vorgängerin Theresa May. Die Wahrscheinlichkeit einer sauberen Scheidung statt eines dreckigen harten Brexit sei damit weit größer geworden.

Krämer weist darauf hin, dass sich Johnson mit der EU darauf verständigte, ein Freihandelsabkommen anzustreben. Bis dahin würde eine Übergangslösung gelten, die Ende 2020 ausläuft. "Damit bliebe dauerhaft alles beim Alten, die Zollfreiheit würde zementiert, die negativen Auswirkungen des Brexit für den Handel wären weitgehend vom Tisch", sagt Krämer.

An einer Stelle war die Erleichterung der Anleger am Donnerstag schon besonders zu spüren, bei der britischen Währung. Der Kurs des Pfunds Sterling legte um 1,2 Prozent auf 1,2988 Dollar zu. In den vergangenen sechs Handelstagen summiert sich das Plus auf sechs Prozent. Es ist die stärkste Rally seit 30 Jahren. Die britische Währung notiert aber immer noch 13 Prozent niedriger als vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016. Das Pfund stürzte ab, weil man Störungen des Güterhandels mit massiven Nachteilen für britische Unternehmen befürchten musste; eine Währung ist immer nur so stark wie die Volkswirtschaft, die hinter ihr steht. Die Aktienkurse der größten britischen Unternehmen legten seit dem Referendum dagegen um mehr als zehn Prozent zu. Sie profitieren von einem schwachen Pfund beim Export ihrer Waren.

Sollte der Brexit-Deal durchs Parlament kommen, werde das Pfund auf mindestens 1,35 Dollar steigen, prognostiziert Nigel Green, Gründer und Chef des Anlageberaters deVere.

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SZ vom 18.10.2019
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