Das Jahr war gerade einmal zwei Wochen alt, da ging es im Berliner Abgeordnetenhaus schon um das nächste Silvesterfest. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) berichtete, dass bereits am Sicherheitskonzept für den Jahreswechsel 2025/26 in der Hauptstadt gearbeitet werde. Nach Silvester ist eben auch vor Silvester. „Wir werden aber auch weiterhin mit einem starken polizeilichen Kräfteansatz arbeiten müssen“, erklärte die Innensenatorin.
Ein Grund für die Eile wird sein, dass die Silvesterfeiern nicht nur Berlin, sondern das ganze Land mit einer kaum dagewesenen Wucht erfasst haben. Fünf Menschen starben, mancherorts standen die Notaufnahmen in der Nacht vor dem Kollaps, allein in Berlin mussten 3000 Polizisten und 1500 Rettungskräfte die Straßen sichern. Die Feuerwehr, so heißt es, habe an der „absoluten Belastungsgrenze“ gearbeitet.
Dem Vidoeblogger sei es um „ein größtmögliches Publikum“ gegangen, sagt die Staatsanwaltschaft
Schuld daran sei weniger der großflächige Wasserrohrbruch in der Silvesternacht in Berlin gewesen, sondern Knallkörper, die immer mehr Sprengkraft besäßen und immer aggressiver eingesetzt würden. Davon berichten Polizeien in ganz Deutschland. So filmte sich in Berlin ein 23-jähriger Videoblogger dabei, wie er eine Rakete in eine Wohnung schoss. „Ihm ging es darum, ein größtmögliches Publikum zu erreichen durch die Begehung von Straftaten“, erklärte die Staatsanwaltschaft. Da der junge Mann aus dem Westjordanland stammt und Fluchtgefahr attestiert wurde, sitzt er in Untersuchungshaft. Am Mittwoch wurde er unter anderem wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung angeklagt.
Die Wunden, die diese Silvesternacht geschlagen hat, sind bis jetzt nicht geheilt. Nicht bei dem siebenjährigen Jungen, den eine sogenannte Kugelbombe im Berliner Ortsteil Tegel traf. Nicht bei dem Polizisten, dessen Unterschenkel im Prenzlauer Berg von einem Böller zerfetzt wurde. Und auch nicht an dem Eckhaus in Berlin-Schöneberg, bei dem ebenfalls eine Kugelbombe die Fenster in 36 Wohnungen zerschlug. Immer noch sind Bauarbeiter dabei, die Haustür zu reparieren. „Wie viele Tote braucht es, damit umgedacht wird“, hatte Berlins Innensenatorin schon wenige Tage nach Silvester gefragt.
Tatsächlich hat sich nach diesem Jahreswechsel eine bisher einmalige Allianz für ein Verbot der Böllerei an Silvester zusammengetan. Die Gewerkschaft der Polizei Berlin (GdP) hatte schon vor zwei Jahren eine Online-Petition für das Verbot privater Böllerei gestartet. Damals kamen 30 000 Unterschriften zusammen, inzwischen sind es mehr als zwei Millionen. Hunderttausende schlossen sich mittels Signatur auch einer Initiative der Deutschen Umwelthilfe, des Bundesverbandes der GdP und 36 anderer Organisationen mit derselben Forderung an.
Ergeht es dem Böllerverbot wie dem Tempolimit?
Jahr für Jahr würde das Ausmaß der Randale an Silvester in der Politik beklagt, ärgerte sich Stephan Weh, Chef der GdP in Berlin. „Ehrlich gesagt können wir diese Mitleidsbekundungen aus dem politischen Raum nicht mehr hören, wenn sich an den Rahmenbedingungen nicht endlich etwas ändert.“ Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Tierrechtsorganisation Peta ergab, dass 58 Prozent der Deutschen für ein Verbot privater Silvesterknallerei plädieren. Denn längst ist man nicht nur in den Großstädten über die Folgen entsetzt. „Wir sind nicht Berlin, keine Frage“, erklärte kürzlich Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD). „Aber auch in der Region Stuttgart sind in dieser Nacht alle Handchirurgen rund um die Uhr im Einsatz. Die OPs laufen durch.“
Doch das Momentum von den Tagen danach scheint wieder verloren. Das Böllerverbot könnte zum Tempolimit der Silvesternacht werden: Selbst wenn es eine Mehrheit der Deutschen will, heißt dies noch lange nicht, dass es auch geschieht. Im Falle eines Böllerverbotes gibt es vor allem zwei Probleme, ein strukturelles und ein ganz praktisches.
Dass an Silvester überhaupt geböllert werden darf, ist im Sprengstoffgesetz und einer dazugehörigen Verordnung festgeschrieben. Änderungen bedürfen nach Auffassung des Bundesinnenministeriums der Zustimmung der Länder. Als der Spiegel vor zwei Wochen einmal bei den Innenministerien nachfragte, war eine Mehrheit gegen ein Verbot. Einzig Bremen spricht sich klar dafür aus, in Berlin plädiert die Innensenatorin von der SPD dafür, dass die Länder mehr Spielraum bekommen. Zum Beispiel, um selbständig großflächige Böllerverbotszonen auszuweisen. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner von der CDU aber hält dagegen: Man dürfe nicht diejenigen mit einem Verbot bestrafen, die friedlich feierten. Derzeit wird im Senat besprochen, wie man aus dem Patt herauskommen könne.
Berlin könnte die dichte Besiedlung geltend machen
Das praktische Problem besteht in der Bundestagswahl. Denn danach müssten erst einmal neue Ansprechpartner gesucht werden, sagt Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei in Berlin. Aber anders als immer behauptet werde, „sind wir schon der Meinung, dass Berlin etwas tun könnte“. Die Regelungen ließen durchaus Spielraum, um großflächig Böllerverbotszonen auszuweisen. Schleswig-Holstein tue das zum Beispiel in Gegenden, in denen viele Häuser mit leicht entzündlichen Reetdächern stehen. Berlin könnte hingegen die dichte Besiedlung geltend machen. „Da geht auf jeden Fall etwas“, sagt Jendro, „man kann den Versuch ja mal unternehmen.“ Im Zweifelsfall müsse das Verwaltungsgericht entscheiden. „Wir haben jetzt diese Debatte, und wir müssen sie am Köcheln halten.“
Hoffnung macht den Böllergegnern ein Treffen von Deutscher Umwelthilfe und der GdP in der vergangenen Woche in Berlin, zu dem auch Vertreter mehrerer Bundesländer und des Bundesinnenministeriums kamen. Bremens Innensenator hat dabei zugesagt, das Böllerverbot zu einem Topthema auf der Innenministerkonferenz im kommenden Juni zu machen.
Am vergangenen Sonntag hat auch die erste im Bundestag vertretene Partei nicht nur ein Böllerverbot, sondern auch ein Verbot des Verkaufs von Böllern in ihr Wahlprogramm aufgenommen. „Jetzt haben wir eine sehr klare Positionierung“, sagt Vasili Franco, Parlamentarier der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.
Franco kämpft seit Langem für ein Verbot, dass sein Antrag beim Bundesparteitag jetzt durchkam, sei dennoch ein Erfolg. Denn die Sorge, wieder als Verbotspartei zu gelten, hänge den Grünen nach. Diese konnte er den Parteifreunden jedoch nehmen: Mit der Forderung nach einem Verbot werde schließlich nur der „Normalzustand“ hergestellt, sagt Franco. „Warum erlauben wir an einem Tag, was an 364 Tagen zu Recht verboten ist?“

