Böhmermann:Erdoğans Recht

Recep Tayyip Erdogan

Erdoğan verkennt, dass dieser "Schah-Paragraf" aus den Zeiten des Obrigkeitsstaates stammt.

(Foto: AFP)

Der türkische Präsident lebt partiell im 19. Jahrhundert, aus dieser Zeit stammt auch der "Schah-Paragraf". Erdoğan verkennt jedoch, dass Deutschland kein Obrigkeitsstaat mehr ist.

Kommentar von Heribert Prantl

Wer verstehen will, worum es im Fall Erdoğan/Böhmermann eigentlich geht, muss in den Lehrbüchern des Strafrechts im 19. Jahrhundert nachlesen. Dort findet man die Begründung dafür, warum die Beleidigung von Oberhäuptern ausländischer Staaten mit so absurd hohen Strafen belegt ist. Es soll, heißt es da, die "Staatsehre" des ausländischen Staates geschützt werden, die sich im Staatsoberhaupt verkörpere. Und warum muss die auf so drakonische Weise geschützt werden, durch harsche Bestrafung eines Beleidigers?

Jetzt kommt die Diplomatie ins Spiel: Weil es besser sei, so kann man in den alten Lehrbüchern nachlesen, durch Bestrafung eines Einzelnen einen fremden Staat zu beruhigen, als das Risiko gestörter Beziehungen einzugehen. Es soll ja Zeiten gegeben haben, in denen Beleidigungen Kriege ausgelöst haben.

Die Strafvorschrift 103 war im 19. Jahrhundert ein besonderes diplomatisches Instrument. Und weil der türkische Präsident Erdoğan partiell im 19. Jahrhundert lebt, versteht er es auch so und will es von der Bundesregierung so angewendet wissen: politisch. Er verkennt, dass dieser Paragraf zwar aus den Zeiten des Obrigkeitsstaates stammt, aber Deutschland nicht mehr in einem solchen System lebt.

Die Justiz könnte Ruhe in die Sache bringen

Er fordert von der Bundesregierung, so zu reagieren, wie er, Erdoğan, in der Türkei reagieren würde. In einem Rechtsstaat werden aber auch antiquierte Strafnormen im Lichte der Grundrechte ausgelegt - und zwar nicht von der Regierung, sondern von den Stellen, die dafür zuständig sind: Das sind die Gerichte. Dorthin, zur Justiz, sollte die Causa Böhmermann jetzt ganz schnell expediert werden; weg von den Bundespressekonferenzen, weg von der politischen Herumeierei, hin zu einer juristischen Prüfung.

Sachgerecht ist das auch deswegen, weil die Abläufe bei der Justiz anders sind als in der Politik: Erstens sind die Gerichte unabhängig, zweitens sind sie nicht so unter Zeitdruck. Es muss nun erst einmal geprüft werden, ob die Sache überhaupt zu einer Anklage reicht; und wenn der Staatsanwalt das meint, heißt das noch lange nicht, dass vor Gericht auch eine Verurteilung herauskommt. Und selbst dann, wenn in der ersten Instanz verurteilt wird - in höheren Instanzen wird aus Emotion Rationalität.

So war es etwa vor ein paar Jahren, als der Zeit-Herausgeber Michael Naumann in erster Instanz vom Amtsgericht wegen Beleidigung des Berliner Generalstaatsanwalts Karge zu einer Geldstrafe von 9000 Euro verurteilt wurde. In zweiter Instanz wurde das Verfahren dann eingestellt. Die Justiz bringt, gerade bei hitzigen Beleidigungsangelegenheiten, Ruhe in die Sache. Notfalls sorgt dafür, in höchster Instanz, das Bundesverfassungsgericht. Das sähe man mit der Sache Erdoğan/Böhmermann gerne befasst: Dieser Fall eignet sich nämlich wie kein anderer auszuloten, wie weit Meinungs- und die Kunstfreiheit geht.

Erdoğans Strafantrag zeigt, wie gekränkt er sich fühlt

Jetzt hat auch noch Erdoğan selbst Strafantrag gestellt und damit das "Strafverlangen" seiner Regierung bekräftigt. Juristisch ändert sich damit in der Sache nichts. Anders als bei der Beleidigung eines normalen Menschen, die tatsächlich nur nach einem Strafantrag des Beleidigten verfolgt wird, braucht es bei der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts keinen persönlichen Strafantrag des Staatsoberhaupts. Es genügt schon, wenn seine Regierung die Bestrafung wünscht; dass Erdoğan nun auch noch persönlich die Bestrafung des Satirikers Böhmermann verlangt, zeigt, wie gekränkt er sich fühlt.

Auf die Kränkung des ausländischen Staatsoberhaupts steht Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren; das ist eine absurd hohe Strafdrohung. Bei einer normalen Beleidigung eines normalen Menschen droht eine Strafe von allerhöchstens zwei Jahren. Beide Höchststrafen sind zwar ziemlich unrealistisch, sie werden in der Praxis so gut wie nie ausgesprochen; aber schon die Drohung zeigt, dass die Ehre ein Rechtsgut ist, das durchaus seinen Wert hat und auch haben soll - obwohl die Jurastudenten schon in der Anfängervorlesung lernen, dass die Ehre ein zu sensibles Ding sei, um sie "mit dem hölzernen Handschuh des Strafrechts" gut erfassen und schützen zu können.

Selbst wenn Böhmermann verurteilt würde, es käme allenfalls eine Geldstrafe heraus. Aber auch die ist unwahrscheinlich; wahrscheinlich ist ein Freispruch. Warum? Weil die Meinungs- und Kunstfreiheit ebenso große wie barmherzige Grundrechte sind. Sie decken auch Unverschämtheiten; sie decken sogar rassistische Gemeinheiten, solange sie nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Es gilt aber die Regel: Satire ist nicht schon deswegen gut, weil sie nicht strafbar ist.

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