Datenschutz:Überwachungsalbtraum Bodycam

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Die Freiheitsrechte gegenüber dem Staat scheinen egal zu sein, solange bei ihrer Verletzung keine Daten auf "amerikanischen Servern" gespeichert werden. (Foto: dpa)

Der Datenschutz verliert seinen eigentlichen Auftrag aus dem Blick: Die Bürger vor dem Staat zu schützen.

Von Michael Seemann

Als das Bundesverfassungsgericht 1983 im berühmten Volkszählungsurteil das Grundrecht auf "informationelle Selbstbestimmung" feststellte, verwies es in seiner Begründung explizit auf das Machtverhältnis des Bürgers zum Staat. Wenn der Bürger sich nicht unbeobachtet entfalten könne, so das Gericht, sei die demokratische Ordnung gefährdet. Es stellte den Datenschutz quasi in den Dienst der Demokratie.

Seitdem ist viel passiert. Gegen die Daten, die wir jeden Tag absondern, wenn wir nur die Straße überqueren, wirkt die damals geplante Volkszählung geradezu wie ein Kinderspiel. Es erscheint auf den ersten Blick folgerichtig, wenn sich der Datenschutz neue Gegner sucht. Heute sieht er die Privatsphäre weniger vom Staat als von privaten, offenbar vornehmlich amerikanischen Unternehmen gefährdet. Das ist zwar richtig, entfernt den Datenschutz aber deutlich von der damals zugewiesenen Aufgabe, das Machtungleichgewicht zwischen Staat und Bürger zu tarieren.

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Das rächt sich nun, wie die Diskussion um die Bodycams zeigt. Bodycams sind kleine Kameras, die die Polizei an den Uniformen tragen soll, um in kritischen Einsatzsituationen beweisfähiges Videomaterial zu sammeln. Eigentlich berührt die Bodycam-Debatte die damaligen Fragestellungen des Bundesverfassungsgerichts voll und ganz. Wieder geht es um das Machtungleichgewicht zwischen Staat und Bürger, wieder sind Freiheitsrechte in Gefahr. Doch ist die Lage komplexer.

Die Bodycams haben einerseits das Potenzial, den Staat und die Polizei für ihr Handeln verantwortlich zu machen und Polizeigewalt einzudämmen. In den USA wurden sie aus diesem Grund eingeführt, teils mit guten Ergebnissen. Aber es kann auch das Gegenteil passieren. Wenn die Polizei volle Kontrolle darüber behält, wann etwas gefilmt wird und wer, wann, unter welchen Umständen die Daten abrufen kann, wird aus den Bodycams schnell ein Überwachungsalbtraum. Nur wenn das Zugriffsregime einer externen Instanz - etwa einem Gericht - überlassen wird, können die Bodycams staatliche Macht kontrollieren, statt sie zu verstärken.

Die aktuellen Regelungen tendieren deutlich hin zum Überwachungsalbtraum. Bisher hat die Polizei die volle Zugriffskontrolle zu den Daten und darf sogar die Herausgabe von Videos verweigern, wenn sie Beamte belasten. Doch kaum jemand redet davon. Als nun jedoch herauskam, dass die Bundespolizei die Videodaten bei dem Cloudspeicherdienst von Amazon speichern will, hatte der Datenschutz seinen Angelpunkt wieder gefunden. Eine Welle der Empörung schwappte durch die Medien: ausgerechnet bei der Datenkrake Amazon?

Der sprachlose Datenschutz

Die Freiheitsrechte gegenüber dem Staat scheinen egal zu sein, solange bei ihrer Verletzung keine Daten auf "amerikanischen Servern" gespeichert werden. Als ob die Speicherung der Videos in einer deutschen T-Systems-Cloud irgendetwas besser machen würde.

Während der Datenschutz als Selbstzweck immer mehr in das Leben der Bürger eingreift und mit der Datenschutzgrundverordnung Fotografen, Blogger, auch kleine Vereine drangsaliert, wird er zunehmend sprachlos gegenüber einem Staat, der seine Kontrollbefugnisse gegenüber den Bürgern immer weiter ausdehnt. Das hatten die Autoren der "informationellen Selbstbestimmung" sicher nicht im Sinn.

Michael Seeman n, 41, ist Kulturwissenschaftler und Sachbuchautor.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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