Bodo Ramelow:Oskars Gegengewicht

Bibelfest, gut verdrahtet, zielstrebig: Bodo Ramelow hat sich seinen Spitzenplatz in der Thüringer Linken hart erarbeitet.

Daniel Brössler

Er zwitschert wieder. Ziemlich früh am Morgen und ziemlich fröhlich. "Guten Morgen! Eine viel zu kurze Nacht und schon seit 6:30 Uhr auf dem Weg nach Berlin!", lässt Bodo Ramelow seine Anhänger über den Onlinedienst Twitter wissen. Es wird nicht der letzte Eintrag im digitalen Zwitscherforum bleiben an diesem Tag.

Bodo Ramelow, ddp

Harmonisch sitzen da zwei Männer nebeneinander, die in der Linken nicht dafür bekannt sind, immer an einem Strang zu ziehen: der Thüringer Ramelow und der Saarländer Oskar Lafontaine.

(Foto: Foto: ddp)

Ramelow muss sich mitteilen, schon im Wahlkampf waren seine Finger unablässig über die Handytastatur getanzt. Kleine Boshaftigkeiten wanderten so ins Netz über die "Krabbelgruppe" des Dieter Althaus und dessen künftiges Leben als "Ex-Ministerpräsident". Nun feiert Ramelow, natürlich auch auf Twitter, seinen Sieg.

Am Vormittag verstummt das Gezwitscher für ein Weilchen. Im Redaktionsgebäude der einstigen SED-Zeitung Neues Deutschland im Berliner Stadtteil Friedrichshain tagt der Parteivorstand der Linken. Es wird, wie ein Teilnehmer berichtet, viel "gejubelt und gelobt". Zwei Sieger sind zu feiern, der Saarländer Oskar Lafontaine und der Thüringer Ramelow.

Beide haben für die Linke in ihren Bundesländern die Chance auf eine Regierungsbeteiligung erkämpft. Nun sitzen sie in einer Sitzungspause nebeneinander vor der Hauptstadtpresse. Großzügig lobt Lafontaine das "außerordentlich gute Ergebnis" in Thüringen, erst dann erwähnt er in der ihm eigenen Bescheidenheit das gute Abschneiden im Saarland.

Harmonisch sitzen da zwei Männer nebeneinander, die in der Linken nicht dafür bekannt sind, immer an einem Strang zu ziehen. Die Partei darf gespannt sein, ob der doppelte Sieg sie künftig eher eint oder trennt. Die beiden unterscheiden sich fast in jeder Hinsicht - in Herkunft, im Politikstil und zum Teil auch in ihren Plänen für die Linkspartei.

Aufgewachsen ist Ramelow in Rheinhessen in einer protestantischen Familie, was ihn bis heute prägt. In der Linkspartei zählt er zum überschaubaren Kreis der Religiösen. Zum Reformationstag hielt er im vergangenen Jahr eine Predigt in der Auenkirche im Berliner Stadtteil Wilmersdorf über den "Brief an die Philipper 2, 12 - 13".

Nicht nur seine Bibelfestigkeit macht den 53-jährigen Ramelow zu einer Ausnahmefigur in der Linkspartei. Der gelernte Kaufmann ist als Gewerkschafter 1990 nach Thüringen gekommen, wo er rasch zum Landesvorsitzenden der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen aufstieg.

Ramelow, der 1999 zur PDS stieß, wird ungeachtet seiner Herkunft als Wessi akzeptiert in Thüringen. Versuche der Jungen Union, ihn als unechten Thüringer zu diffamieren, liefen ins Leere. Im Land ist die Linke Volkspartei, und Ramelow ist es gelungen, das zu verkörpern.

"Ein politischer Geisterfahrer"

Wann immer er gefragt wurde, konnte er längere Vorträge über Sorgen und Nöte der Kleingärtner halten. Sicherheitshalber trennte er sich von seinem Glitzerstein im Ohr. Sein Faible für helle Anzüge behielt er bei. Dass sie bei den Thüringern Anstoß erregen könnten, musste er nicht befürchten.

So zielstrebig wie an seiner Verwurzelung in Thüringen hat Ramelow in den vergangenen Jahren auch an seiner Verankerung in der Linkspartei gearbeitet. Als Ostpolitiker mit Westgeschichte spielte er eine wichtige Rolle bei der Fusion von PDS und WASG zur Partei Die Linke. Für die PDS fungierte Ramelow als Verhandlungsführer. Anerkennung erwarb er sich auch als Wahlkampfmanager - ein Posten, den er vergangenes Jahr aufgab, um sich auf seine Kandidatur in Thüringen zu konzentrieren.

Als einer der Vizechefs der linken Bundestagsfraktion machte er sich nebenbei einen Namen als einer der kommunikativsten Abgeordneten einer Partei, die sich im Umgang mit den Medien nicht immer leicht tut. Ironisch prägte Ramelow den Begriff der "bösen bürgerlichen Presse", der sich weniger gegen die Journalisten richtete als gegen die Neigung mancher Parteifreunde, sich von Feinden umzingelt zu sehen.

In der Linken zählt Ramelow zu jenen, die gegensteuern, wenn die Partei oder auch ihr Chef Oskar Lafontaine allzu weit nach links driften. Ramelow ist sich da einig mit Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch und auch sonst gut verdrahtet mit den ostdeutschen Genossen, die sich dem Reformflügel zurechnen. Diese Reformer haben es nicht leicht gehabt in jüngster Zeit. Erst vor ein paar Monaten hat deren Vordenker Andre Brie abgerechnet mit dem "Lafontainismus". Beunruhigt fragte er, wo der "Reformer, der Realist Lafontaine" geblieben sei.

Öffentlich hielt sich Ramelow aus diesen Debatten eher heraus. Im Reformerlager wird sein Sieg in Thüringen aber auch als Bestätigung einer pragmatischen Linie gewertet. Die Erfolge Lafontaines im Saarland und Ramelows in Thüringen seien zusammengenommen wichtig für die Partei, meint der Bundestagsabgeordnete Jan Korte. "Das zeigt, wie breit wir aufgestellt sind", lobt er.

"Ein politischer Geisterfahrer"

Bis zur Bundestagswahl am 27. September werden die linken Führungsfiguren Einigkeit demonstrieren. Erst danach wird sich zeigen, wie sich das Erstarken zweier so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Lafontaine und Ramelow auswirkt auf die innerparteiliche Kräfteverteilung. Einen Vorgeschmack hat Ramelow vor einigen Wochen schon gegeben - mit einer unverblümten Attacke gegen Lafontaine.

Bislang teilt sich der Saarländer den Parteivorsitz mit Lothar Bisky, dessen Auftreten seit seinem Wechsel ins Europaparlament noch stärker als bisher an das eines Alterspräsidenten erinnert. Nächstes Jahr aber soll laut Satzung die Übergangsphase im Zusammenwachsen von PDS und WASG beendet sein und nur noch ein Vorsitzender gewählt werden.

Ziemlich überraschend teilte Ramelow jüngst aber mit, es solle doch lieber erst einmal bei der Zweier-Lösung bleiben. Er halte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau als "klar positionierte ostdeutsche Frau" für eine gute Bisky-Nachfolgerin. Öffentlich schwieg Lafontaine dazu. Doch der Streit über die Cheffrage wird kommen, ebenso wie das Ringen um das noch ausstehende Grundsatzprogramm.

Bis dahin bleibt Ramelow in Thüringen beschäftigt. "Die CDU ist abgewählt und Dieter Althaus hat keinen Rückhalt in der Bevölkerung", twittert er mittags. "Wer das umdeuten will, ist ein politischer Geisterfahrer."

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