Sieben Jahre nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden hat die Bundesregierung am vergangenen Wochenende einer großen Forderung ihrer Kritiker nachgegeben. Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll künftig streng kontrolliert werden, wenn er den elektronischen Datenverkehr überwacht, und zwar von einer unabhängigen Instanz aus sechs Richtern. Das Bundeskanzleramt hat nun dazu den entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser reiche aber nicht aus, kritisiert nun der Jurist Ulf Buermeyer, der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Er droht, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen - dorthin, wo er jüngst schon einmal gegen die Bundesregierung gewonnen hat.
SZ: Herr Buermeyer, Sie haben vor einem halben Jahr spektakulär die Bundesregierung bezwungen: Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen damals Recht gegeben und gesagt, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst viel strenger kontrolliert werden müsste. Sind Sie mit der Reaktion der Bundesregierung zufrieden?
Ulf Buermeyer: Wir haben niemanden bezwungen, sondern wir haben einen Sieg für die rechtsstaatlichen Prinzipien errungen. Das beruht auf einem ganz klaren Satz: Es darf in der Demokratie keine unkontrollierten Behörden geben. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgesprochen, was allen klar war: Es gibt beim BND viele Tätigkeiten, die bislang niemand unabhängig überwachen kann.
Exklusiv Bundesnachrichtendienst:Kanzleramt legt neues BND-Abhörgesetz vor
Der Bundesnachrichtendienst lauscht und spioniert in aller Welt. Erstmals soll er dabei nun von einem "Kontrollrat" aus sechs Richtern beaufsichtigt werden. Sie sollen strikt vertraulich arbeiten - aber mit großer Unabhängigkeit und Schlagkraft.
Und jetzt wird es besser? Das Kanzleramt will einen Rat aus sechs hochrangigen Juristen einsetzen, die vollkommen unabhängig die gesamte Arbeit des BND kontrollieren dürfen. So etwas gab es noch nie.
Natürlich ist das ein Fortschritt. Aber dieser neue Kontrollrat wird besetzt sein mit Menschen, die tief in Behörden- und Justizstrukturen verankert sind und denen es an einer kritischen Distanz zum BND fehlen dürfte. Warum sollen in diesem Gremium zum Beispiel keine Rechtsanwälte mitwirken, wie es der Deutsche Anwaltsverein fordert? Sie könnten die Interessen der Allgemeinheit einbringen und vertreten.
Die Rede ist immerhin von Richtern des Bundesgerichtshofs. Nur weil jemand eine Richterkarriere gemacht hat, ist er oder sie doch nicht gleich zahm oder nachsichtig gegenüber dem Geheimdienst. Trauen Sie ihnen nicht zu, die Kontrollfunktion auszuüben?
Jedes Kontrollgremium kann nur prüfen, was ihm vorgelegt wird. Auch nach der jetzt vorliegenden Novelle werden für die Grundrechte wesentliche Entscheidungen des BND nicht dokumentiert und nicht begründet.
Alle Entscheidungen, die der BND für die Überwachung elektronischer Kommunikation trifft, sollen künftig kontrolliert werden. Wichtige vorab, weniger wichtige nachträglich. So schlägt es die Bundesregierung vor.
Die Kontrolleure können das aber nur leisten, wenn auch alle diese Entscheidungen aktenmäßig dokumentiert sind. An vielen wesentlichen Stellen soll das weiterhin nicht der Fall sein. Die strategische Telekommunikationsüberwachung beruht etwa auf Suchbegriffen, den sogenannten Selektoren. Diese sollen auch weiterhin nur im Ausnahmefall unabhängig kontrolliert werden. Damit bleibt die Überwachung der Internetkommunikation in weiten Teilen außerhalb jeder externen Kontrolle.
Das müssen Sie erklären. Denn im Rahmen der sogenannten administrativen Rechtskontrolle soll das künftige Kontrollgremium alles - auch alle Selektoren - angucken dürfen.
Das ist schön - wenn denn alles irgendwo dokumentiert wird...
Der BND hat Computersysteme, mit denen er die internationalen Datenströme nach bestimmten Suchbegriffen filtert. Und der Kontrollrat wird künftig mit seiner administrativen Rechtskontrolle dort hineingucken dürfen. Wie kann denen dann noch etwas verborgen bleiben?
Die Kontrolleure können vielleicht reingucken. Angesichts der sechsstelligen Zahl an Selektoren ist aber sehr fraglich, wie umfassend eine solche Kontrolle durch sechs Kontrolleure am Ende sein wird. Und: Man braucht den Kontext, die Begründung für einen bestimmten Suchbegriff. Sonst kann man die Rechtmäßigkeit kaum bewerten. Wenn da einfach nur eine Telefonnummer steht, dann sagt das ja nichts aus.
Der Schutz von Journalisten, der Ihnen und den übrigen Beschwerdeführern in Karlsruhe wichtig war, soll jetzt ebenfalls deutlich verbessert werden. Sind Sie damit zufrieden?
Der neue Gesetzentwurf aus dem Kanzleramt sieht besonderen Schutz für bestimmte Berufe vor, dazu zählen auch Journalisten. Aber der BND entscheidet künftig selbst, wen er als Journalisten anerkennt. Und diese Entscheidung muss nach dem Gesetz nicht dokumentiert und begründet werden. Damit kann sie auch nur schwer extern kontrolliert werden. Das ist ein juristischer Taschenspielerstrick des Bundeskanzleramts, um gerade unkonventionell arbeitende oder ausländische Journalisten doch weitgehend nach Gusto überwachen zu können.
Im Gesetzentwurf steht etwas anderes. Immer, wenn ein Journalist oder eine Journalistin überwacht werden soll, muss dies vorab dem Kontrollrat vorgelegt werden.
Aber wie gesagt, die Frage ist zunächst, wen der BND überhaupt als Journalist anerkennt. Und selbst dann ist der Schutz löchrig. Es werden viele Gründe geschaffen, um eine Überwachung abnicken zu können. Für Journalistinnen und Journalisten, die vertraulich mit anonymen Quellen kommunizieren, ist das ein großes Problem.
Das Bundesverfassungsgericht hat doch festgestellt, dass das Belauschen von Journalisten kein komplettes Tabu sei. Müssten Sie Ihre Kritik insofern nicht dorthin richten - nach Karlsruhe?
Ich halte es für einen großen Fehler, jetzt nur zu fordern, dass die Bundesregierung die Karlsruher Entscheidung buchstabengetreu umsetzt. Die Karlsruher Entscheidung markiert nur das absolute menschenrechtliche Minimum. Mit anderen Worten bedeutet eine exakte Umsetzung ein möglichst geringes Schutzniveau für die Menschenrechte. Ich fände es sehr verstörend, wenn es der Anspruch der großen Koalition wäre, Menschenrechte so wenig zu schützen wie irgendwie möglich. Es trifft zwar zu, dass auch das Bundesverfassungsgericht keinen absoluten Schutz für die Pressefreiheit vorgesehen hat. Das hindert aber die Bundesregierung nicht daran, einen wirklich glaubwürdigen Schutz für die investigative Recherche gesetzlich zu verankern.
Das Prinzip, dass der BND nicht jeden als Journalisten anerkennen und achten muss, der sich selbst Journalist nennt, finden Sie aber in Ordnung?
Ja, klar. Es ist richtig, dass man differenziert zwischen echten Journalisten einerseits und Fake-News-Trollen oder Terrorpropagandisten andererseits, die sich nur als Journalisten tarnen. Deshalb fordern wir nur, dass die Differenzierung im Einzelfall begründet und dokumentiert wird - denn nur so kann sie auch extern kontrolliert werden.
Hand aufs Herz, ist der Gesetzentwurf der Regierung nicht besser als alles, was Sie sich vor einem Jahr erträumt hätten?
Er ist ein Schritt in die richtige Richtung, weil er die Arbeit des BND auf genauere rechtliche Grundlagen stellt. Auf der anderen Seite sind viele dieser Grundlagen aber rechtsstaatlich weiter defizitär. Wenn das so bleibt, ziehen wir wieder nach Karlsruhe.