Der Chef des Geheimdienstes wird zur Kassandra. Er beschreibt Russlands militärische Fähigkeiten in ungewöhnlicher Klarheit. Er spricht von neuen Bedrohungen. Er warnt davor, dass die Migrationsbewegung nicht zu beherrschen seien könnte. Er gibt der Politik eine klare Aufgabe: Kümmert euch um die Sicherheit. Das ist einerseits eine ungewöhnliche Rolle für einen Geheimdienstchef, andererseits aber ist Bruno Kahl nichts vorzuwerfen. Geheimdienste sind nicht für die Schönheiten der Welt zuständig, sondern für die Gefahren.
Sicherheitspolitik ist besonders in der großen Koalition in homöopathischer Dosierung verabreicht worden. Globuli für den Globus. Das ist erstens einer gewissen politischen Vorsicht geschuldet - gerade beim Thema Russland sind die Wähler gespalten. Zweitens werden Überbringer schlechter Nachrichten selten mit Jubel begrüßt. Wie also sag ich es meinem Kinde? Und wer tut's?
Bruno Kahl ist kein Scharfmacher, ihn treibt keine Geltungssucht. Aber die Akteure der deutschen Sicherheitsinstitutionen vermissen in der Diskussion um Schutz und Bedrohung nicht erst seit gestern die Ernsthaftigkeit und Tiefe, die der Bedeutung Deutschlands angemessen wäre. Wer etwa mit Russland im Gespräch bleiben will, so wie es Kahl auch anmahnt, der muss über die Absichten Moskaus Gewissheit haben. Eine Wünsch-dir-was-Welt gibt es nicht.