Süddeutsche Zeitung

BND-Affäre:Mit der Lizenz zum Lügen

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Die Arbeit des BND wird derzeit wieder heftig kritisiert. Doch ein Problem wird weitgehend übersehen, sagt der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Nešković: Die BND-Beamten können ungestraft lügen. Das muss sich ändern, fordert der Ex-Bundestagsabgeordnete.

Von Markus C. Schulte von Drach

Wolfgang Nešković ist ehemaliger Bundesrichter und Ex-Bundestagsabgeordneter (für die Linke, später fraktionslos). Er saß sieben Jahre im Parlamentarischen Kontrollgremium, das vom Kanzleramt über die Arbeit der Geheimdienste informiert wird.

SZ: Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat sich vom US-Geheimdienst NSA Suchbegriffe unterjubeln lassen, mit denen in Deutschland und Europa Bürger und Unternehmen - sogar Rüstungskonzerne - ausspioniert wurden. Eine Schweinerei, bei der sich der BND zum Deppen gemacht hat, wie manche sagen.

Wolfgang Nešković: Mich interessiert nicht so sehr, ob der BND sein Firmenimage weiter verschlechtert hat. Die öffentliche Diskussion sollte sich eher darauf konzentrieren, ob BND und Kanzleramt sich an geltendes Recht gehalten oder es gebrochen haben.

Wenn die Behauptung des Kanzleramtes richtig wäre, es habe von den hier streitigen Datenübermittlungen an die NSA nichts gewusst, dann wären die Datenübermittlungen durch den BND schon allein deswegen ein krasser und offensichtlicher Rechtsbruch, weil die nach dem Gesetz zwingend erforderliche Zustimmung des Kanzleramtes gefehlt hätte.

Gegen welches Gesetz wurde verstoßen?

Bei der Übermittlung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten an andere Stellen - also etwa die NSA - können auch Grundrechte betroffen sein. Deshalb dürfen diese nach dem BND-Gesetz nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen weitergegeben werden. Zu diesen Voraussetzungen gehört zunächst die Zustimmung des Kanzleramtes. Ohne Zustimmung keine Übermittlung.

Des Weiteren ist die Übermittlung nur legal, wenn sie "erforderlich" ist, um "außen- und sicherheitspolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland" zu wahren. Es liegt auf der Hand, dass zum Beispiel Wirtschaftsspionage gegen deutsche Unternehmen nicht diesen gesetzlichen Voraussetzungen entspricht.

Auch kann ich mir schwer vorstellen, warum es für die Wahrung der vorgenannten Belange Deutschlands erforderlich sein soll, europäische Unternehmen und Politiker auszuspähen, um anschließend die Ergebnisse der NSA zu übermitteln.

Muss für jede einzelne Datenübermittlung geprüft werden, ob diese gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind? Allein die riesige Zahl der IP-Adressen, Telefonnummern oder E-Mail-Adressen, die der BND für die NSA analysieren sollte, deutet ja darauf hin, dass die Daten automatisiert übermittelt wurden.

Für eine automatisierte Übermittlung und eine generelle Pauschalzustimmung des Kanzleramtes nach dem Motto "Jeder Übermittlungsanforderung der NSA wird zugestimmt", liefert das Gesetz jedenfalls keine Rechtfertigung.

Wegen der möglichen Grundrechtsbetroffenheit müssen BND und Kanzleramt in jedem Einzelfall der Datenübermittlung prüfen, ob die dafür geltenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Von dieser Gesetzesbindung sind sie auch nicht befreit, weil die Anforderung zur Datenübermittlung von den USA, und damit von einem engen Bündnispartner, stammt. Vasallenhafte Fügsamkeit gegenüber den USA kann nicht von der Bindung an deutsches Recht befreien.

Wenn hier ein Fehlverhalten des BND vorliegt, hätte das Kanzleramt nicht einschreiten müssen? Schließlich soll es die Geheimdienste kontrollieren.

Wenn das Bundeskanzleramt tatsächlich unwissend gewesen sein sollte - was ich mir bei der eindeutigen Gesetzeslage nicht vorstellen kann -, hätte es durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen sicherstellen müssen, dass so etwas nicht geschehen kann. Das ist offenkundig nicht passiert. Ein solches schwerwiegendes organisatorisches Versagen muss zumindest personelle Konsequenzen haben.

Das Parlamentarische Kontrollgremium, das wiederum die Kontrolle des Kanzleramts kontrolliert, wurde offenbar auch nicht informiert.

Zuerst erklärte das Bundeskanzleramt, es sei vom BND erst im März 2015 informiert worden, dann hieß es, man habe 2008 einen vertraulichen Bericht des Nachrichtendienstes über die Vorgänge erhalten. Wenn diese Informationen nicht an das Parlamentarische Kontrollgremium gegangen sind, wäre das ein weiterer Gesetzesbruch. Nun sagt die Regierung, das Amt habe 2014 dem NSA-Untersuchungsausschuss, der aufgrund der Snowden-Affäre eingerichtet wurde, Informationen dazu vorgelegt. Das zeigt, mit welcher Taktik im Kanzleramt gearbeitet wird. Es wird Verwirrung gestiftet. Mit Erfolg. Schließlich gehört das Wissen um die Vorgänge in und um die Geheimdienste nicht zur Allgemeinbildung.

Wenn gegen Gesetze verstoßen wurde, dann müssten die Verantwortlichen doch belangt werden können?

Wenn die Bundesregierung dem Parlamentarischen Kontrollgremium falsche oder irreführende Informationen gibt oder ihrer gesetzlichen Informationspflicht nicht nachkommt, indem sie Sachverhalte verschweigt, dann sind das Gesetzesverletzungen, die im Regelfall jedoch folgenlos bleiben. Insbesondere haben sie keine strafrechtlichen Konsequenzen.

Und auch wenn Mitarbeiter der Nachrichtendienste das Gremium im Rahmen einer Anhörung anlügen, müssen sie keine strafrechtlichen Folgen befürchten.

Die können dort einfach lügen?

Möglich sind höchstens disziplinarrechtliche Konsequenzen. Über die entscheidet aber der Dienstherr, in dessen Interesse der Mitarbeiter möglicherweise ja die Unwahrheit sagt. In solchen Fällen wird dieser im Regelfall kein ambitioniertes Verlangen verspüren, das Verhalten seiner Mitarbeiter zu ahnden. Wenn es doch dazu kommt, wird das wegen der Geheimhaltungspflicht kaum zu öffentlicher Schelte führen.

Was muss sich hier ändern?

Wir brauchen ein Sonderstrafrecht für die Geheimdienstkontrolle. Solange es das nicht gibt, haben die Beamten der Nachrichtendienste und des Kanzleramts gewissermaßen eine Lizenz zum Lügen und zum Gesetzesbruch.

Dabei ist es gerade bei der Geheimdienstkontrolle besonders wichtig, Gesetzesbrüche auch strafrechtlich zu verfolgen. Das Strafrecht kommt in unserer Rechtsordnung immer dann zum Zuge, wenn bestimmte Rechtsgüter eines erhöhten Schutzes bedürfen und der Gesellschaft signalisiert werden soll, dass die Verletzung dieser Rechtsgüter strafrechtliches Unrecht darstellt.

Diese Voraussetzungen sind bei der Geheimdienstkontrolle offenkundig gegeben. Hier geht es ja um mögliche Eingriffe in die Grundrechte, die verdeckt stattfinden. Die Bürgerinnen und Bürger bemerken sie in der Regel nicht, so dass sie auch nicht den durch das Grundgesetz vorgesehenen Rechtsschutz der Gerichte in Anspruch nehmen können. Die Bürgerinnen und Bürger können nur dann wirksam geschützt werden, wenn bei der Geheimdienstkontrolle auch das Strafrecht mit seiner Abschreckungswirkung zum Einsatz kommt.

Wann sollte das Strafrecht zum Einsatz kommen?

Vorrangig sollte es strafbar sein, wenn Geheimdienstmitarbeiter ihre Dienstvorgesetzten und das Parlamentarische Kontrollgremium nicht, falsch oder irreführend informieren. Auch Falschaussagen bei Befragungen im Kontrollgremium sollten strafrechtliche Konsequenzen haben. Und strafrechtlich geahndet werden sollten auch grundrechtsrelevante Gesetzesverletzungen bei der Geheimdienstarbeit - insbesondere bei der Erhebung und weiteren Datenverarbeitung. Schließlich sollten unterlassene oder fehlerhafte Kontrollen durch Dienstvorgesetzte strafrechtliche Folgen haben.

Ich bin überzeugt, dass ein Sonderstrafrecht für Amtsträger im Bereich der Geheimdienstkontrolle ganz entscheidend dazu beitragen würde, Rechtsverletzungen vorzubeugen und zu unterbinden. Gerade bei Amtspersonen wirken mögliche strafrechtliche Sanktionen sehr abschreckend. Schließlich drohen nicht nur Geld- und Freiheitsstrafen, sondern auch der Verlust des Amtes mit allen damit verbundenen Konsequenzen, zum Beispiel der Verlust von Pensionsansprüchen.

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