NSA-Untersuchungsausschuss:Im Reich des Vergessens

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Spionieren in der Idylle: Die Abhöranlage des BND in Bad Aibling. (Foto: REUTERS)
  • Beim NSA-Untersuchungsausschuss in Berlin steht eine Woche mit vielen wichtigen Zeugenbefragungen an.
  • Unter ihnen ist auch der Chef der BND-Satellitenanlage von Bad Aibling, der sich an wichtige Details wie etwa die Löschaktionen von sogenannten Selektoren der Amerikaner, die zu europäischen Institutionen, zu europäischen Politikern und Mitarbeitern europäischer Regierungen führten, nicht mehr erinnern will.
  • Bei den Abgeordneten des Ausschusses und auch der großen Koalition kommen zunehmend Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Zeugenaussagen der BND-Mitarbeiter auf.
  • Zeugen könne sich angeblich nicht mehr erinnern, reden um das Wesentliche herum oder bleiben mit ihren Aussagen im Unklaren.

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Der Mann, der in der Satellitenanlage von Bad Aibling das Kommando hat, ist einer größeren Öffentlichkeit nur unter seinen Initialen bekannt: R. U. Man weiß, dass R. U. circa 120 Mitarbeiter führt, dass er früher mal Soldat war und in einer technischen Einheit der Bundeswehr programmiert hat und dass er seit 1996 beim Bundesnachrichtendienst arbeitet. Offenbar eine tadellose Karriere. Schritt für Schritt.

R. U. ist kein Schwätzer. Dieser Umstand fiel in diesen Tagen auf, weil seine Korrespondenz mit einem seiner Mitarbeiter bekannt wurde. Der hatte nach den Snowden-Enthüllungen im Sommer 2013 die Suchbegriffe der Amerikaner in Bad Aibling durchforstet und war darauf gestoßen, dass sie sogenannte Selektoren verwendeten, die zu europäischen Institutionen, zu europäischen Politikern und Mitarbeitern europäischer Regierungen führten. "Was soll ich damit tun?", fragte der Beamte am 14. August in einer Mail mit dem Betreff "EU in US-Profil". R. U. antwortete, sehr knapp: "Löschen."

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Das war in Ordnung. Denn was amerikanische Geheimdienste mit Hilfe des BND, der seit 2004 Hausherr in Bad Aibling ist, gemacht hatten, war ein grobes Foul. Es ist der Stoff für den Skandal, der Berlin durchrüttelt. Möglicherweise hat der BND, das ist die nette Variante, immer darauf geachtet, dass nicht die Daten von Deutschen an die NSA weitergereicht wurden und dabei zu oft die Europäer vergessen. Möglicherweise, so mutmaßen Abgeordnete der Opposition, war der Dienst so zuvorkommend, weil nur die Kooperation mit der NSA, die viel mehr Leute und viel bessere Technik hat, den besten Ertrag versprach.

An diesem Donnerstag soll R. U. vor dem NSA-Untersuchungsausschuss in Berlin als Zeuge auftreten. Er will trotz eines gesundheitlichen Problems kommen. Nicht sehr lang kann er bleiben. Zwei, drei Stunden vielleicht. Muss doch reichen.

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R. U. wurde schon einmal vor dem Untersuchungsausschuss vernommen - so wie viele andere seiner Mitarbeiter aus Bad Aibling. Mindestens eine Handvoll von ihnen kannte die Geschichte von der BND-Hilfe für die NSA. Aber sie schwiegen vor dem Ausschuss oder erzählten lieber die schöne Geschichte von der angeblich sorgsamen Überprüfung der amerikanischen Selektoren. Auch R. U. berichtete bei einem Zeugenauftritt im November nichts über die Löschaktion.

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Auch Geheimdienstchef Schindler muss sich für eine Aussage bereithalten

Diese Woche soll also angeblich die Woche der Aufklärung sein. Sitzung wird sich an Sitzung reihen. Der Ausschuss will die Liste der Selektoren sehen. Am besten sofort. Es gibt eine lange Zeugenliste. Darauf stehen viele, die an der Löschung beteiligt waren, und zuständige Beamte in der Hierarchie. BND-Präsident Gerhard Schindler soll sich auf Abruf bereithalten.

Aber mit der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit, das haben die Mitglieder des Untersuchungsausschusses gelernt, ist es in solchen Angelegenheiten manchmal nicht weit her. Selbst Abgeordnete aus der großen Koalition fragen sich, was man den Zeugen vom BND noch glauben darf. Es gibt große Zweifel, dass die Leute vom Dienst gesagt haben, was war und was ist.

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Alle Zeugen müssen, darüber werden sie immer gleich am Anfang belehrt, die Wahrheit sagen: "Ihre Aussagen müssen richtig und vollständig sein. Sie dürfen nichts weglassen, was zur Sache gehört und nichts hinzufügen, was der Wahrheit nicht entspricht." Warum aber hat beispielsweise R. U. bei seinem ersten Zeugenauftritt vor einigen Monaten weggelassen, was er ganz bestimmt wusste - nämlich die Geschichte der Löschaktion? Ist er nicht richtig befragt worden? Hatte er Erinnerungsschwächen?

Es gibt eine vertrauliche Mail über die Erfassung von Daten zur EADS

Das Spiel mit der Wahrheit gehört durchaus zur Kultur von Untersuchungsausschüssen. Vor allem Politiker sind bekannt dafür, dass sie sich angeblich überhaupt nicht mehr an Abläufe, Begegnungen und Einschätzungen von früher erinnern können. Alles lang her. Viel zu tun. Das Gedächtnis! Aber was einige der Nachrichtendienstler als Zeugen so von sich gaben, war schon dreist. Geradezu artistisch sagte auch R. U. nichts, was von öffentlichem Interesse hätte sein können. Geduldig verwies er auf die nicht öffentliche Sitzung, in der er auch nichts Wesentliches sagte.

Das mag alles auch mit der Materie und dem Genre der Geheimniskrämer zusammenhängen, kann aber ziemlich lästig sein. Da war die leitende BND-Mitarbeiterin G. L., deren Bereich zuständig für die Selektorenprüfung ist. Auf die einfache Frage, wie viele Selektoren es in Bad Aibling gebe, antwortete sie: "Weiß ich nicht mehr." Nachfrage des Grünen-Abgeordneten Konstantin von Notz: "Sagen Sie mal eine Zahl, ungefähr." Antwort: "Kann ich nicht sagen. Jede Zahl, die ich sage, wäre falsch." Notz: "Sie erzählen mir hier allen Ernstes, dass Sie keine Ahnung haben, wie viele das ungefähr sind?" G. L.: "Ja."

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Besonders grenzwertig war der Auftritt des BND-Mitarbeiters T. B., der auch eine Führungsaufgabe in Bad Aibling hatte. Er erzählte den Abgeordneten eine "ganz einfache Geschichte", um die schwierige Materie mit den Selektoren verständlich zu machen. "Es wäre äußerst dämlich", hob er an, "wenn die Deutschen gemeinsam mit Amerikanern gemeinsame Erfassung zu EADS betreiben würden, als unmittelbarem Konkurrenten zu Boeing." - "Ist nicht passiert", fügte er rasch hinzu.

Als Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken Zweifel anmeldeten, weil Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR über eine Erfassung von Daten zur EADS, heute Airbus, berichtet hatten, versicherte er, das Beispiel sei "reine Theorie gewesen". Da wäre nichts passiert. Er habe das nur erwähnt, um die Problematik zu erklären. "Ach so, zufällig sind Sie auf EADS gekommen", meinte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.

Zufällig war gar nichts. Der Zeuge T. B, der einen ähnlichen Berufsweg wie R. U. zurückgelegt hat, hatte natürlich mit EADS zu tun. Es gibt eine vertrauliche Mail des Auslandsgeheimdienstes vom 25. Januar 2006, in der ein BND-Mitarbeiter W. O. seinem Kollegen U. K. mitteilt: "Als Anlage die Daten der EADS ..., die bei uns gesteuert waren. Nach Rücksprache mit Herrn B. wurden diese Daten aus der Erfassung genommen". Herr B. ist identisch mit T. B.

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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