Blogger und die NRW-Wahl:Abgesang auf "Onkel Rütte"

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Einige Blogger treten seit Monaten der nordrhein-westfälischen CDU gewaltig auf die Füße. Nun feiern sie schon vor der Wahl am Sonntag die Niederlage von Ministerpräsident Rüttgers.

Hanna Ziegler

"Der Mann ist durch." "Seine Regierung ist kaputt." Harte Worte, die Theobald Tiger für den amtierenden NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers übrig hat. Theobald Tiger ist das Pseudonym eines Autors im Blog Wir in NRW. Auf der Seite der Ruhrbarone wird hämisch der leere Terminkalender von "Onkel Rütte" für die nächsten Monate präsentiert.

Jürgen Rüttgers im Wahlkampf - einige Blogger haben dem Ministerpräsident das Leben schwer gemacht. (Foto: Foto: dpa)

Aus Sicht der Blogger ist der Wahlausgang so gut wie entschieden - schon vor dem Urnengang wird hier bereits der Abgesang auf den CDU-Politiker angestimmt. Munter spekuliert der Tiger über Rüttgers mögliche Nachfolger und den bevorstehenden Ruhestand des 58-Jährigen. "Ausgemergelt und ausgezehrt" absolviere Rüttgers die letzten Wahlkampftage.

Das ist die Wahrnehmung des Bloggers. Noch am Mittwoch zeigte sich Rüttgers in Wuppertal gewohnt kämpferisch - von Resignation keine Spur. Dennoch: Mit ihren Enthüllungen der letzten Monate haben die Blogger große Wirkung entfaltet.

Theobald Tiger und seine Blogger-Kollegen wie Paul Panther und Kaspar Hauser sind aus der Versenkung aufgetaucht und treten seit wenigen Monaten der nordrhein-westfälischen CDU gewaltig auf die Füße.

Sie nutzen ihre Kontakte in den inneren Zirkel der Partei und veröffentlichen brisante Dokumente, meist E-Mails, die zwischen der CDU-Landesgeschäftsstelle und der Staatskanzlei verschickt wurden, in ihrem Blog.

Übernommen haben sie die klangvollen Pseudonyme von Kurt Tucholsky, der seine Meinung unter diesen Decknamen während der Weimarer Republik an die Öffentlichkeit trug.

Alfons Pieper ist das Gesicht des Ende 2009 gegründeten Blogs Wir in NRW, der von sechs Journalisten betrieben wird. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) und seine anonymen Kollegen hatten genug von dem "weichgespülten und gefälligen" Journalismus, der ihrer Meinung nach nicht kritisch genug über die Landesregierung berichtet.

1,7 Millionen Mal wurde die Seite laut Pieper bis heute von etwa 680.000 verschiedenen Besuchern aufgerufen. Unter Hochdruck versucht die CDU-Parteispitze das Informationsleck in den eigenen Reihen zu stopfen und weitere pikante Details unter Verschluss zu halten. Sogar eine Anzeige gegen Unbekannt erstattet die Partei-Landeszentrale bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen angeblichen Datendiebstahls.

Die Skandale - wie die Sponsoring-Affäre - spielen der Opposition in die Hände spielen. Dass man aber der CDU gezielt schaden will, weist Pieper energisch von sich: "Wenn aus der Opposition brisantes Material aufgetaucht wäre, hätten wir natürlich auch das veröffentlicht. Wir haben gute Kontakte in alle Parteien."

Natürlich sei es so, dass immer ein besonderes Augenmerk auf die Regierung gelegt werde - egal ob CDU oder SPD, sagt Alfons Pieper im Gespräch mit sueddeutsche.de. Er nimmt der CDU die von Medienminister Andreas Krautscheid inszenierte Opferrolle jedenfalls nicht ab. "Der Schmutz wurde in der CDU selbst angerichtet. Wir sind nur die Überbringer."

Relativ unbedarft gingen die Journalisten von Wir in NRW mit ihrem Blog an den Start. Hatten kaum Ahnung von der Technik, tragen die Kosten selbst. Mittlerweile werden Ihnen Dokumente aus ganz Deutschland zugespielt. Zumeist anonym. Doch die Kapazitäten der Macher sind viel zu gering, sowohl personell als auch finanziell, um all die gewitterten Skandale zu prüfen und an die Öffentlichkeit zu tragen.

Bei der Recherche profitieren die Blogger von ihren Kontakten in die Parteizentralen, Kontakte dahin, wo es sensibel wird. "Dennoch müssen wir uns alles sehr, sehr lange auf dem üblichen journalistischen Weg erarbeiten", sagt David Schraven vom Blog Ruhrbarone.

Die Informanten aus den Reihen der CDU schützen seiner Meinung nach die Partei mit ihrem herausgegebenen Material. "Das sind die Leute, die sonst keine Chance mehr haben, ihre Bedenken gegen das moralische Verständnis der Landesparteispitze zu äußern."

Die getreuen Gefolgsleute um Rüttgers werden diesen vermeintlich guten Willen freilich anders bewerten. "Dort muss es ziemlich ruppig zugehen", sagt auch Alfons Pieper über die Atmosphäre in der Parteizentrale.

"Wir sind nur die kleinen Räder"

Während Pieper sich im Ruhestand als Blogger euphorisch gibt, wechselt David Schraven von den Ruhrbaronen nach drei Jahren die Seiten. Der Journalist wird ab dem ersten Juni als Chef das Ressort "Recherche" im WAZ-Konzern leiten.

So problemlos wie bisher bei den Ruhrbaronen, wird er die investigativen Geschichten unter seinem als konservativ geltenden neuen Chef Ulrich Reitz wohl nicht platzieren können. Die Publikumswirkung seines Blogs sieht Schraven nüchtern. "Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass wir einen Einfluss auf die Wahl am Sonntag haben. Die Wahrnehmung von Blogs ist in der breiten Öffentlichkeit viel zu gering", sagte er zu sueddeutsche.de.

Richtigen Wirbel erzeugen die von ihnen aufgedeckten Exklusivgeschichten erst, wenn große Medien darüber berichten. "Wir sind nur die kleinen Räder, die die großen Räder in Gang setzen", so der Journalist. Mit seinem neuen Job wird er die tägliche Leserschaft des Blogs von etwa 10.000 Menschen jedenfalls spielend überbieten können.

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