Im Mai 2012 war die Stimmung in Frankfurt aufgeheizt, die Finanzwelt fürchtete sich vor Blockupy. Die Commerzbank schloss ihre Zentrale. Die Barclays Bank schraubte ihr Firmenschild ab. Die Europäische Zentralbank (EZB) verlegte eine Ratssitzung. Die Stadt ließ ein Protest-Camp vor der EZB-Zentrale räumen. Zur Demonstration kamen 20 000 Aktivisten und 5000 Polizisten. Frankfurt war abgeriegelt.
An diesem Samstag demonstrierte Blockupy wieder in Frankfurt gegen Sozialabbau in der EU. Doch diesmal haben die Banker vorher nicht gezittert. Die EZB hat ihr neues Gebäude vor zwei Wochen ohne großes Brimborium bezogen und Blockupy damit um einen symbolträchtigen Demonstrations-Anlass gebracht. Die Eröffnung soll irgendwann im Frühjahr nachgeholt werden.
Die Demonstration verlief nach Polizeiangaben größtenteils friedlich. Die Veranstalter sprachen von bis zu 3000 Teilnehmern, die Polizei zählte rund 2000 Demonstranten. Rund 80 Menschen seien über den Zaun geklettert und hätten sich zeitweise auf dem EZB-Gelände aufgehalten, so die Polizei.
Was bringen solche Proteste noch? "Die europäischen Krisenproteste sind in der Krise", sagte der Soziologe und Ökonom Oliver Nachtwey. Er hat über den Blockupy-Vorgänger Occupy geforscht, diese Protestbewegung gilt inzwischen als gescheitert. Blockupy drohe nun ein ähnliches Schicksal. "Die Finanzkrise ist zwar eine europäische. Aber die Proteste sind von großer Ungleichzeitigkeit geprägt", sagt Nachtwey. Die Kürzungsprogramme liefen in den europäischen Ländern in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Griechenland hat die größten Umwälzungen vor zwei Jahren erlebt, Italien ist jetzt dran, Deutschland hatte die Agenda 2010.
Die Blockupy-Aktionstage in Frankfurt wollen international sein. Abgeordnete der linksradikalen griechischen Syriza-Partei waren angekündigt, ebenso Mitglieder der spanischen Podemos-Partei. Doch eine gesamteuropäische Koordinierung ist nicht gelungen. Der Bankenkritiker und emeritierte Politikprofessor des Otto-Suhr-Instituts der FU Berlin, Peter Grottian, sieht ein weiteres Hindernis: "Blockupy ist ein eng gefasstes, dezidiert linkes Bündnis, das sich nicht richtig zur Mitte hin öffnet." Kaum Gewerkschaften und Jugendorganisationen sind dabei. Ganz abgesehen davon, dass die Mitte der deutschen Gesellschaft von der Krise wenig merkt, erschwere das eine größere Akzeptanz. "Wir sind offen für alle", sagt Linden. "Aber wir haben auch Positionen, die wir nicht aufweichen können. Wir richten uns gemeinsam mit den südeuropäischen Ländern gegen die Politik der Troika, und wer mitmachen will, ist willkommen."
Blockupy ist ein Bündnis linker bis linksradikaler Organisationen, das gegen die EU-Krisenpolitik protestiert und sich seinen Namen in Anlehnung an die Occupy-Bewegung gegeben hat. Occupy nahm seinen Anfang an der New Yorker Wall Street, wo junge Aktivisten ab September 2011 im Zucotti-Park campierten und gegen die Finanzwelt und die Folgen der Krise demonstrierten. Zu ihrem Slogan wurde der Satz "We are the 99 percent". Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass man sich nicht mehr von dem einen Prozent der reichsten Bevölkerung dominieren lassen wollte. Occupy breitete sich auch in andere Staaten aus, äußerte aber keine konkreten politischen Forderungen. Zuletzt tauchte das Label Occupy während der Hongkonger Studentenproteste auf. Im Gegensatz zu Blockupy verfügte Occupy über keine festen Strukturen. In einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung wird das als ein Grund für das Scheitern von Occupy genannt. Annette Zoch
Womöglich sind die klassischen Demonstrationen auf der Straße auch längst überholt: Grottian konstatiert ein neues Protestverhalten, er nennt es "Anklick-Demokratie". Widerstand verlagere sich ins Internet, zum Beispiel zu Petitions-Plattformen wie Campact: "Die Menschen wollen nicht mehr über lange Zeit dicke Bretter bohren. Sondern bei ihnen herrscht eher das Gefühl: Ich gehe mal zu so einer Veranstaltung hin und dann gehe ich auch wieder weg."
Auch die Lebenssituation vieler junger Leute, einst "eine sichere Bank für Demonstrationen", so Grottian, spiele eine Rolle. Ein großer Teil der Jungen lebe in prekären Verhältnissen, sagt Nachtwey: "Prekarität wirkt auf jugendliche Protestkultur meist erst mal dämpfend. Unsicherheit lässt die Menschen stillhalten. Erst ab einem bestimmten Punkt kippt die Stimmung." In Spanien war der erreicht, als die Jugendarbeitslosigkeit auf bis zu 40 Prozent kletterte. Dort hat sich inzwischen aus der Protestbewegung "15. Mai" eine neue Partei gegründet: Podemos. In Italien ist das "Movimento 5 Stelle" stark, in Griechenland könnte im Frühjahr Syriza an die Macht kommen. Der Protest hat sich nicht nur ins Internet verlagert, sondern auch in die politischen Systeme.