Blindgänger:Explosive Erde

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Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg sind eine tägliche Gefahr in Deutschland.

Von Robert Probst

Luftmarschall Arthur Harris ließ die Deutschen nicht im Unklaren. Sein Flugblatt verstreute die Royal Air Force 1942 in millionenfacher Ausfertigung über dem Dritten Reich. "Das ist unser Ziel: Lübeck, Rostock, Köln, Emden, Bremen, Wilhelmshaven, Duisburg, Hamburg - und die Liste wird immer länger. Lasst euch von den Nazis mit ins Verderben reißen, wenn ihr wollt. Das ist eure Sache." Harris' Liste war am Ende sehr lang. Der Bombenkrieg war verheerend, er hat zahllose deutsche Städte ruiniert und Hunderttausende Menschenleben gekostet - und er hat dazu geführt, dass auch mehr als 70 Jahre später die Folgen des total-technisierten Kriegs in Deutschland zu spüren sind.

Am ersten Weihnachtsfeiertag mussten in Augsburg 54 000 Menschen ihre Wohnungen verlassen, damit eine Luftmine des Typs HC 4000 LB entschärft werden konnte. Die Abkürzung bedeutet: Hochkapazitätsbombe mit einem Gewicht von 4000 britischen Pfund. Der Augsburger Fund wog 1,8 Tonnen, die Briten nannten sie "Cookie"; größere Minen hießen "Tallboy" oder "Grand Slam".

In Augsburg kam es deshalb zur größten Evakuierungsaktion seit Kriegsende. Dabei ist die Entschärfung von Blindgängern in Deutschland Alltag - meist ohne dass viele davon Notiz nehmen. Eine kleine Auswahl des vergangenen Monats: 27. November, Osnabrück, 250-Kilo-Fliegerbombe, 8000 Menschen müssen während der Entschärfung ihre Wohnung verlassen; 6. Dezember, Berlin, 50-Kilo-Bombe, 2600 Menschen; 7. Dezember, München, 250-Kilo-Fliegerbombe, mehr als 1000 Menschen; 12. Dezember, Köln, 500-Kilo-Bombe, 1100 Menschen.

Geschätzt 1,3 Millionen Tonnen hochexplosives Material warfen Briten und Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs über Deutschland ab, zwischen fünf und 15 Prozent der Spreng-, Streu-, und Brandbomben explodierten nicht. Zehntausende davon, vielleicht mehr als 100 000, liegen noch immer unentdeckt herum - teils wenige Zentimeter unter dem Erdboden. Die meisten Blindgänger werden zufällig, oft bei Bauarbeiten, entdeckt. Eine systematische Suche gibt es nicht, wie so oft scheitert es am Geld.

Der Bund ist bei der Beseitigung von Rüstungsaltlasten lediglich für Blindgänger aus deutscher Herstellung, sogenannte reichseigene Munition, zuständig. Die viel größere Menge der alliierten Bomben müssen die Bundesländer entsorgen lassen, und da gehen die Kosten jedes Jahr in die Millionen. Mehrere Bundesratsinitiativen, vor allem vom besonders geplagten Brandenburg, den Bund stärker in die Pflicht zu nehmen, scheiterten.

Gründe für das Nichtexplodieren gibt es viele, etwa versehentlich nicht entsicherte, eingefrorene oder beim Aufschlag nicht ausgelöste Zünder. Die Experten der Kampfmittelräumdienste haben im Lauf der Jahrzehnte mehr als 200 verschiedene Bombenarten und Dutzende Zündmechanismen kennengelernt. Meist geht alles gut aus, aber nicht immer. Dutzende Sprengmeister kamen zu Tode, und manchmal - wie 2012 bei der Sprengung eines Blindgängers in München-Schwabing - entstehen große Schäden in der Umgebung.

Diese Art Vergangenheitsbewältigung wird noch Jahrzehnte dauern, schätzen Experten.

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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