"Black Lives Matter"-Bewegung:Die Wut weicht dem Wunsch nach Versöhnung

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Ein kleiner Junge aus dem Bundesstaat Minnesota unterstützt die Demonstranten, die an seinem Haus vorbeimarschieren, um gegen die Polizeigewalt in den USA zu protestieren. (Foto: Scott Olson/AFP)

Die Demonstranten in Washington und New York bleiben friedlich, reagieren auf Provokationen der Sicherheitskräfte mit fast ausgelassener Lockerheit. Die Proteste in den USA sind in eine neue Phase eingetreten.

Von Christian Zaschke, New York

Eigentlich galt in New York City am Samstag eine Ausgangssperre ab acht Uhr abends. Jedoch haben Zehntausende Menschen diese ignoriert und friedlich demonstriert, und anders als an den vorhergehenden Tagen ließ die Polizei sie gewähren. In Anbetracht des Offensichtlichen schrieb Bürgermeister Bill de Blasio nachts auf Twitter, dass die Ausgangssperre damit aufgehoben sei.

Die Proteste am Wochenende sahen deutlich anders aus als die teils gewaltsame Randale, die New York in den vorangegangenen Nächten erlebt hatte. Besonders in Manhattan waren es überwiegend weiße Jugendliche gewesen, die Läden geplündert hatten, die Scheiben einschmissen und Brände legten. Am Samstag waren es Menschen jeden Alters und aller Hautfarben, die auf die Straßen gingen. Rund um den Central Park wirkte es, als sei die halbe Stadt auf den Beinen.

Bislang lebte Trump von einer Kernstrategie: Menschen auseinanderzudividieren

Auslöser der Proteste ist der Tod des Schwarzen George Floyd, der vor zwei Wochen in Minneapolis ums Leben kam, weil ein weißer Polizist knapp neun Minuten lang auf seinem Hals kniete. Seither ist in mindestens 140 Städten in den USA demonstriert worden. Anfangs ging es darum, gegen die Brutalität der Polizei zu protestieren. Mittlerweile scheint sich eine andere Dynamik entwickelt zu haben, denn bei den friedlichen Protesten des Wochenendes ging es um mehr. Es ging um die Forderung nach einem grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel.

Auch in der Hauptstadt Washington waren Zehntausende Menschen auf den Straßen. Obwohl die Polizei in den vergangenen Tagen hart gegen Demonstranten vorgegangen war, hatten sich noch mehr Menschen versammelt als zuvor. Sie ließen sich nicht abschrecken von einer massiven Präsenz von Polizei und Nationalgarde, die sich am Sonntag wieder aus Washington zurückzog. Und auch nicht von Truppen, die sich nicht genau einordnen ließen, weil an ihren Uniformen sowohl die Namensschilder als auch eine Zuordnung zu einer Behörde fehlten. Und auch nicht von den Hubschraubern, die zum Teil sehr tief über die Versammlungen flogen, erkennbar mit der Absicht, für Unruhe zu sorgen.

Die Reaktion der Demonstranten war meistenteils eine fast ausgelassene Lockerheit. Musik erklang, teils aus Autos, teils selbst auf Instrumenten gespielt, manche Menschen tanzten. Es hatte bisweilen die Anmutung eines Happenings, der tieftraurige Anlass der Proteste trat eine Weile in den Hintergrund. Sowohl in Washington als auch in New York schien es, als seien die Demonstrationen in eine neue Phase eingetreten. Nachdem sich in den vergangenen Tagen erst die Wut Bahn gebrochen hatte, wirkte es nun, als sei der Protest tief in der Gesellschaft angekommen. Und es sah nicht so aus, als würden diese Proteste allzu bald wieder aufhören.

Es mag sich seltsam angefühlt haben für Präsident Donald Trump, in einem Weißen Haus zu sitzen, das von Zehntausenden Menschen umgeben war, von einem jüngst aufgestellten Zaun und einem massiven Aufgebot von Polizei und Nationalgardisten. Trump tat, was er meistens tut: Er twitterte. Obwohl es ausgesprochen friedlich war, schrieb er in Großbuchstaben: "Law & Order". Recht und Ordnung.

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Damit bezieht er sich auf Richard Nixon, der bei den Protesten im Jahr 1968 als eine Art Mantra wiederholte, es müssten Recht und Ordnung wiederhergestellt werden. Nixon wurde im November jenes Jahres zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, und exakt das ist es, was auch Trump will: im November erneut ins Weiße Haus gewählt zu werden. Er liegt derzeit jedoch in allen Umfragen teils deutlich hinter seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass er in Bezug auf die Proteste eine besonders harte Linie zu fahren versucht: Er will zumindest seine erzkonservative Basis bei der Stange halten.

Ob diese Strategie zum Erfolg führt, ist offen. Insgesamt scheint sich die Stimmung in den vergangenen Tagen, sofern sich das bei einem riesigen Land wie den USA so pauschal sagen lässt, verändert zu haben. Die anfängliche Wut auf den Straßen scheint dem Wunsch nach Versöhnung Platz gemacht zu haben, nach einem neuen Miteinander. In Seattle demonstrierten die Menschen ebenso wie in San Diego, in Santa Fe ebenso wie in Sioux Falls, in Tampa ebenso wie in Boston. Und immer war der Tenor, dass es eine grundlegende Veränderung geben müsse, ein Mehr an Gemeinschaft, ein neues Verhältnis zu den Institutionen des Staates, allen voran zur Polizei. Das könnte für Trump insofern ein Problem werden, als seine Kernstrategie ist, die Menschen auseinanderzudividieren. Er lebt von der Spaltung.

Was ihm nützen könnte, ist die Tatsache, dass die Arbeitslosenzahlen erstmals seit Beginn der Corona-Krise zurückgegangen sind. Zudem scheint diese Krise ihren Schrecken verloren zu haben. In New York standen die Menschen am Wochenende nicht nur bei den Protesten eng an eng, sie standen auch dicht an dicht vor den Bars auf den Straßen und tranken in der Sonne. Vor einer zweiten Welle der Ansteckungen schien niemand mehr Angst zu haben.

© SZ vom 08.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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