BKA bittet in Terror-Ermittlungen um Hinweise:Neonazi-Ermittler setzen auf die Schwarmintelligenz

Wer ist den Zwickauer Terroristen begegnet, hat sie zufällig im Urlaub getroffen oder ihr Wohnmobil gesehen? Das Bundeskriminalamt bittet die Bevölkerung um Informationen. Entsprechende Plakate werden aufgehängt, eine Hotline ist eingerichtet. Es gebe noch zu viele "Lücken", sagt BKA-Chef Ziercke. Einen weiteren Verdächtigen haben seine Ermittler aber dennoch im Visier.

Michael König

Der vielleicht wichtigste Fahndungshelfer ist rot umrandet, rechteckig und mit dicken Lettern bedruckt. Generalbundesanwalt Harald Range und BKA-Chef Jörg Ziercke nehmen ihn zu Beginn ihrer Pressekonferenz am Donnerstagmorgen in Karlsruhe demonstrativ in die Mitte. Es ist ein Plakat im Format DIN A2, das bald in der gesamten Republik Bürger um sachdienliche Hinweise bitten soll.

Ziercke und Range wollen damit eine neue Phase einläuten. Die Aufklärung der Morde der Zwickauer Neonazi-Zelle, die seit dem Jahr 2000 mindestens zehn Menschen getötet haben soll, war bisher für die deutschen Behörden eine eher blamable Angelegenheit. Mit der "Öffentlichkeitsfahndung", wie Range sie nennt, soll sich das ändern.

Verdächtiger in der Türkei

"Eine Handvoll Verdächtige" habe man derzeit im Visier, sagt Range. Eine Person sei von besonderem Interesse - sie soll der Gruppe ihre Ausweispapiere überlassen haben und sich derzeit in der Türkei aufhalten. Die Beweisführung sei aber nicht einfach, wenn ein Verdächtiger behaupte, seine Pässe verloren zu haben.

Auf dem Plakat sind die drei Mitglieder der Zwickauer Neonazi-Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund abgebildet: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die sich ihrer Ergreifung durch die Polizei entzogen hatten. Mundlos erschoss Böhnhardt und richtete sich dann selbst. Und Beate Zschäpe, die in Untersuchungshaft sitzt. Sowie ein Wohnmobil der Marke Chausson auf Basis eines Fiat Ducato.

Ostsee als beliebtes Ziel

Wer die abgebildeten Personen, ihre Kontaktpersonen oder ihr Wohmobil gesehen habe, möge sich bitte an das Bundeskriminalamt wenden, appelliert Behördenchef Ziercke. Auch andere Fahrzeuge wie Pkw und Fahrräder seien interessant. Zudem erhoffe sich das BKA Informationen darüber, wo das Trio Fahrzeuge gemietet habe. Bisher sei es gelungen, 56 Fahrzeuganmietungen nachzuvollziehen, davon ein Drittel Wohnmobile. Etliche Mietzeiträume passten mit Tatzeitpunkten zusammen. Orte an der Ostsee seien offenbar ein bevorzugtes Ziel des Trios gewesen.

Das BKA hat für sachdienliche Hinweise eine Hotline eingerichtet. Die Nummer lautet: 0800 - 0130 110. Auch Landeskriminalämter und Polizeidienststellen nehmen Informationen entgegen.

2500 Beweismittel

"Jeder Hinweis ist uns wichtig", sagt Ziercke in Karlsruhe. Die Terroristen seien "zielgerichtet und planvoll" vorgegangen, sie hätten "nichts dem Zufall überlassen". Ihr Taten sollten nun "bis zu den Wurzeln" aufgeklärt werden. Bislang seien lediglich 250 Tipps aus der Bevölkerung eingegangen. Dem stünden 2500 Beweismittel gegenüber, die zum Teil in der zerstörten Wohnung des Trios in Zwickau gefunden worden seien. Die Fahnder arbeiteten mit größer Sorgfalt und unter Hochdruck daran, die Asservaten zu sichten, sagt Ziercke.

Der BKA-Chef muss einräumen, dass es bislang nicht gelungen sei, die Stationen der Terroristen lückenlos nachzuvollziehen. Die Terroristen hätten für ihr Leben im Untergrund zahlreiche Unterstützer gebraucht, die es nun zu finden gelte.

Ziercke erwartet "weitere Verbindungen" zur NPD

Die NSU habe nicht nur gezielt zehn Morde begangen, sondern auch Splitterbomben gezündet und bei 14 Banküberfällen etwa 600.000 Euro erbeutet. Es sei aber durchaus denkbar, dass ihr noch weitere Straftaten zuzurechnen seien. Deshalb würden nun auch "Altfälle" mit Verdacht auf einen rechtsextremen Hintergrund erneut geprüft.

BKA bittet in Terror-Ermittlungen um Hinweise: Das Fahndungsplakat des Bundeskriminalamts zum NSU-Terror: Wer kennt diese Menschen? Wer hat ihr Wohnmobil gesehen? Sachdienliche Hinweise nimmt das BKA unter der Telefonnummer 0800 - 0130 110 entgegen.

Das Fahndungsplakat des Bundeskriminalamts zum NSU-Terror: Wer kennt diese Menschen? Wer hat ihr Wohnmobil gesehen? Sachdienliche Hinweise nimmt das BKA unter der Telefonnummer 0800 - 0130 110 entgegen.

(Foto: Bundeskriminalamt)

Während in der Politik weiter über ein neues NPD-Verbotsverfahren debattiert wird - der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer nannte das eine "Verpflichtung" des Rechtsstaates - wiegeln Ziercke und Generalbundesanwalt Range ab. "Wir ermitteln nicht gegen die NPD, sondern gegen Personen beziehungsweise gegen die terroristische Gruppierung, die sich NSU nennt", sagt Range.

"Keine Spur gefunden, weil es keine gab"

Ziercke zeigt sich jedoch überzeugt davon, "weitere Verbindungen" zwischen der rechtsextremen Partei und den Terroristen zu finden. Nachfragen blockt er aber ab und spricht von Spekulationen. Die NPD stehe nicht im Mittelpunkt der Ermittlungen, sondern allenfalls Personen aus dem Umfeld, präzisiert Range.

Beide wehren sich gegen Vorwürfe, die Justiz habe nachlässig oder einseitig ermittelt und damit das Untertauchen der Terroristen begünstigt. Es seien damals "in unglaublichem Umfang Informationen ausgewertet und verglichen worden", wie er das noch nicht erlebt habe. "Dennoch wurde die entscheidende Spur in den Bereich des Rechtsextremismus nicht gefunden, weil es zum damaligen Zeitpunkt keine gab."

"Leider nicht ersparen, dass Wunden aufreißen"

Ziercke rechtfertigte auch die anfängliche Theorie der Polizei, die Morde seien der organisierten Kriminalität zuzuschreiben. "Die Polizei musste jeder Spur nachgehen." In einem Fall habe der Fund von Drogen-Streckmitteln eine Rolle gespielt, in einem anderen seien Betäubungsmittelreste gefunden worden. Auch habe es Hinweise auf illegales Glückspiel gegeben. "Bei anderen Opfern gab es gar keine derartigen Hinweise. Aber man musste allen Richtungen nachgehen", sagt Ziercke. Er könne es den Opferfamilien "leider nicht ersparen, dass alte Wunden noch mal aufreißen".

Zum Schluss appelliert Generalbundesanwalt Range an die Bevölkerung, sachdienliche Hinweise zu melden. Wem das zu gefährlich sei, könne Rechtsanwälte oder Geistliche zu Rate ziehen. "Das ist eine anoyme Möglichkeit, uns bei der Aufklärung zu helfen", sagt Range.

Mit Material von dpa

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