Diese Bilder kennt in Russland jeder: Der Ex-Milliardär und Putin-Kritiker Michail Chodorkowskij mit grauem Gesicht und trauriger Miene hinter Gittern, Chodorkowskij im Gerichtssaal, Chodorkowskij im Blitzlichtgewitter. Für viele Oppositionelle ist der Fall des ehemaligen Yukos-Chefs exemplarisch für alles, was schief läuft in Russland.
Chodorkowskij, der in den neunziger Jahren ein Öl-Imperium aufbaute, war 2003 verhaftet worden, nachdem er den damaligen Präsidenten Wladimir Putin offen kritisiert und selbst politische Ambitionen gezeigt hatte.
Er wurde in einem ersten Prozess 2005 wegen Steuerhinterziehung und Betrug und schließlich in einem zweiten Prozess 2010 wegen Geldwäsche verurteilt. Der Ex-Milliardär, dem immer noch Ambitionen auf das Amt des Präsidenten nachgesagt werden, wird vermutlich noch bis 2016 im Gefängnis sitzen - also weit über die Präsidentschaftswahl im März hinaus.
Nun stellen Filmemacher im Netz die Verhältnisse auf den Kopf: In einem Youtube-Clip ist es auf einmal ein aschfahler Putin, der hinter Gittern fotografiert und vor Gericht befragt wird. Die Vorwürfe: Raub von Staatsvermögen, Machtmissbrauch und die Vorbereitung von Terroranschlägen. Das Video wurde fast vier Millionen Mal aufgerufen, es ist aus Originalaufnahmen des Chodorkowskij-Prozesses entstanden.
Unter dem Video liefern sich Putin-Anhänger und -Gegner wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl erbitterte Wortgefechte. Mehr als 20.000 Kommentare gibt es dort schon: "Bald wird tatsächlich auf die Köpfe der Putinanhänger eine Belohnung ausgesetzt sein", und - in Anspielung auf Putins Zeit an der Macht: "Noch mal zwölf Jahre, und wir können unser Land vergessen", steht da zum Beispiel, aber auch: "Ich bin für Stabilität - darum bin ich für Putin" oder "Obama ist ein Lügner und Mörder".
Die Macher des Clips wollen mit "Putin unter Arrest" auf ihren Dokumentarfilm Anschlag auf Russland aufmerksam machen. Darin beschuldigen sie den russischen Inlandsgeheimdienst FSB, in den neunziger Jahren Terroranschläge auf Moskauer Wohnhäuser geplant zu haben, um einen Vorwand für den zweiten Tschetschenienkrieg zu haben.
Wladimir Putin war bis 1999 Direktor des Geheimdienstes. Dann wurde er zunächst russischer Ministerpräsident und schließlich 2000 Präsident. Genau in diese Zeit fällt der Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs, der offiziell bis 2009 dauerte. Menschenrechtler beklagen bis heute die damals von der russischen Armee verübten Grausamkeiten: Zahlreiche Fälle von Mord, Vergewaltigung, Entführung und Folter wurden nie aufgeklärt. Und wer auf die Verbrechen aufmerksam machte, lebte selbst gefährlich - so wurde zum Beispiel die kritische Journalistin Anna Politkowskaja 2006 unter nie vollständig geklärten Umständen ermordet - an Wladimir Putins Geburtstag, dem 7. Oktober.