Otto von Bismarck wandelte am 9. Januar 1870 Preußens Außenministerium in das „Auswärtige Amt des Norddeutschen Bundes“ um.
(Foto: Scherl/SZ Photo)Setzte sich Bismarck für die Interessen der jüdischen Bevölkerung ein?
Ja. Unter seiner Regierung wurde 1869 die rechtliche Gleichstellung der Juden im Norddeutschen Bund realisiert und 1871 im ganzen neugegründeten Kaiserreich. Und auf dem Berliner Kongress unterstützte Bismarck den Vorschlag, die Anerkennung der Balkanstaaten Rumänien, Bulgarien und Serbien von der rechtlichen Gleichstellung der Juden abhängig zu machen.
Man könnte meinen, dass Bleichröder von der engen Verbindung zu Bismarck profiert hat. Aber er hat nie die Aktpezanz der Oberschicht erlangt.
Stimmt. Er erhielt zwar viele Auszeichnungen und wurde als zweiter ungetaufter Jude in Deutschland in den Adelsstand ehoben - vor ihm hatte das nur ein bayrischer Bankier geschafft. Bleichröder galt sogar als reichster Mann Deutschlands. Aber die Oberschichten des deutschen Kaiserreichs benutzten ihn, da sie auch Geld brauchten. Aber das vollzog sich selbstverständlich im Geheimen.
Kurz nach der Reichsgründung entstand eine regelrechte Welle des Antisemitimus, die sich auch gezielt gegen Bleichröder richtete. Wie wurde er zur Hassfigur?
Das hatte mit dem Börsenkrach von 1873 zu tun, der schlesische Herzöge genauso mitgerissen hat wie Schuhputzer in Berlin. So hat es Bismarck dem französischen Bortschafter erklärt. Eigentlich hat Bleichröder damals - ganz im Sinne Bismarcks - den Adeligen geholfen, die sich mit rumänischen Eisenbahnaktien verspekuliert hatten. Doch nach dem Crash war er genau dadurch für Judenhasser zu einem Geschenk geworden: Sie übertrieben seine Rolle maßlos und behaupteten, er wäre der Mann, der hinter dem Reichskanzler die Fäden zieht. So kam auch Bismarck in die Kritik.
Bismarck trat dem Antisemitismus nie entschieden entgegen. War der Eiserne Kanzler zu feige?
Die Attacken auf ihn wegen Bleichröder waren für Bismarck unter seinem Niveau. Nein, Feigheit passt wirklich nicht zu ihm, auch wenn er bisweilen opportunistisch war. Er hat sich aus dieser Debatte schlichtweg herausgehalten.
Judenhass gab es auch in Bismarcks unmittelbarem Umfeld. Sein Sohn Herbert war überzeugter Antisemit.
Allerdings. Genau wie der junge Kaiser Wilhelm II., der 1888 den Thron bestieg und der sich als eine Unglücksfigur der deutschen Geschichte entpuppen sollte. Der Antisemitismus in Deutschland wuchs noch ernorm während des Ersten Weltkrieges. Der junge Kaiser verachtete außerdem Bismarcks gesamtes Verständnis von Politik, das auf Diplomatie und Ausgleich basierte. Wilhelm verkörperte den Militarismus. Allerdings muss man sagen, dass Bismarck nicht völlig unschuldig war: Denn er gefiel sich immer in Uniform und trat immer so auf.
Wilhelm II. war es auch, der Bismarck 1890 aus dem Amt mobbte. Hatte der geschasste Kanzler danach noch Kontakt mit Bleichröder?
Ihr Verhältnis scheint zuletzt fast freundschaftlich gewesen zu sein. Nur zwei Wochen vor Bleichröders Tod 1893 lud ihn der Reichskanzler a. D. in einen Brief ein, ihn in seinem Alterssitz Friedrichsruh zu besuchen. Er schrieb "geehrter Freund" und unterzeichnete den Brief mit: "der Ihrige Bismarck".