Bislang geheime Hoover-Akten:Als das FBI die Schweiz ins Visier nahm

Eine "sehr gute" Verschlüsselung bescheinigte die eidgenössische Armee ihrem Codiersystem noch im Jahr 1950. Nun kommt durch bislang geheime Akten ans Licht: Bereits acht Jahre zuvor war es dem FBI gelungen, den Code zu knacken. Die USA konnten sich so wichtige Informationen beschaffen.

Von Martin Stoll

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Eine Enigma-Dechiffriermaschine der deutschen Marine im Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn.

(Foto: dpa)

Sie stahlen die Codebücher der Chiffriermaschine Enigma und öffneten die Briefpost der eidgenössischen Diplomaten: Lange bevor die NSA zu ihrem Angriff auf die Telefon- und Datennetze der Welt ansetzte, hatten die Agenten des FBI die diplomatischen Depeschen der Schweiz systematisch abgefangen und entschlüsselt.

Das beweisen bisher unveröffentlichte Akten aus dem "Special File Room" von FBI-Chef John Edgar Hoover. Von US-Präsident Franklin D. Roosevelt war Hoover 1940 mit der Aufgabe betraut worden, alle relevanten Informationen der westlichen Welt zu sammeln und aufzubereiten. 1942 nahm er die Schweiz ins Visier.

Das Dokument mit Aktenzeichen TJM:DMS 65-42389 vom 17. Juni 1942 beschreibt, wie es den FBI-Beamten gelang, die Schweizer Geheimschlüssel zu knacken. Eine "höchst vertrauliche Quelle" konnte in New York Dokumente zur Verschlüsselung der Schweizer Diplomatendepeschen fotografieren.

Das Material enthalte "Codes, Tabellen und Chiffren sowie Instruktionen für dessen richtige Anwendung", heißt es im FBI-Memorandum. Unter dem Material habe sich "glücklicherweise" die Kopie eines diplomatischen Schriftstücks befunden, das Codes und Chiffren "der zahlreichen Schweizer Konsulate" auflistete.

Hintergrund
Die Akten des J. Edgar Hoover
Hoover Of The FBI

Jahrzehntelang bunkerte der exzentrische Gründer des FBI, John Edgar Hoover, die geheimsten Unterlagen seiner Behörde in einem eigens für sie eingerichteten Raum. Nun ist es mehreren europäischen Medien auf Initiative der Schweizer SonntagsZeitung gelungen, Einblick in 5393 Seiten Material zu erhalten. Die Auswertung der Akten zeigt: Schon in den vierziger Jahren haben die Vereinigten Staaten ein umfassendes Abhörprogramm betrieben. Und auch für die deutsche Nachkriegsgeschichte sind die Funde brisant. Zur SZ-Übersichtsseite.

Machtlos gegen die Codeknacker

Kaum hatten die US-Lauscher den Code der Schweiz geknackt, machten sie bereits regen Gebrauch davon. Am 19. Juni 1942, zwei Tage nachdem der Code gebrochen war, entschlüsselten die Kryptografen des FBI eine Depesche zur Schweizer Hochseeflotte. "Atlantik-Route der St. Gotthard führt von New York der Küste entlang nach Norfolk und von hier direkt zu den Bermudas und nach Gibraltar", kabelte die ahnungslose Berner Verwaltung nach New York. Das FBI dechiffrierte und übersetzte umgehend. Die Schiffsrouten waren für die Landesversorgung von entscheidender Bedeutung, deshalb funkte Bern sie nur verschlüsselt.

Keine zwei Wochen später, am 2. Juli 1942, geriet wegen entschlüsselter Botschaften ein Informant der Schweizer Diplomatie ins Fadenkreuz des FBI. Der Schweizer Konsul in New York hatte zuvor vertraulich nach Bern gemeldet, dass er von einer Quelle mit Informationen aus einem vertraulichen Bericht über die Kaperung eines Handelsschiffs im Mittelmeer versorgt worden sei.

30 Tage nachdem das FBI hinter das Chiffriergeheimnis der Schweiz gekommen war, verteilte Hoover die Codes innerhalb des Special Intelligence Service (SIS). Die in Südamerika stationierte geheime Spezialabteilung des FBI belieferte er mit den Chiffren und Codes, die von den Schweizer Vertretungen in Buenos Aires, Bogotá, Caracas und Rio de Janeiro verwendet wurden.

Verdächtiger landete wegen Spionage im Gefängnis

Doch das FBI begnügte sich nicht mit dem Erfassen und Entschlüsseln der Telex- und Funksignale. Die Agenten Hoovers beschafften sich auch auf andere Weise Zugang zu fremden Staatsgeheimnissen. So belegt die Übersetzung einer Meldung des Schweizer Konsulats in New York an die Zentrale in Bern vom 6. Dezember 1941 jetzt erstmals, dass die Amerikaner sogar die Briefpost der Schweizer Diplomaten öffneten. Der abgefangene und ins Englische übersetzte Brief enthielt brisante Anschuldigungen eines Schweizer Pharmamanagers an die Adresse des Schweizer Konsuls in Mexiko.

Vermutlich brachte das FBI durch die Kontrolle der Diplomatenpost auch die Affäre um den Schweizer Jean de Watteville ins Rollen. Der damalige Delegierte des Internationalen Roten Kreuzes in den USA hatte während des Kriegs den diplomatischen Kurierdienst der Schweiz dazu verwendet, um illegal private Briefe von Dritten an Adressaten in Europa zu schmuggeln. Von der Schweiz verlangten die US-Behörden daraufhin die Herausgabe der Schmuggelpost - sie verdächtigten einen Mann, der seine Briefe Watteville mitgegeben hatte, insgeheim für die Japaner zu spionieren.

Um die diplomatisch heikle Situation zu bereinigen, tauschten das Politische Departement in Bern und die Botschaft in Washington zahlreiche vertrauliche Mitteilungen aus. Auch diese hörten die Amerikaner ab - und bekamen mit, dass sich die Schweizer Botschaft in Washington fragte, wieso das FBI von den verbotenen Postsendungen Wattevilles überhaupt wusste: "Fügen bei, dass (F)BI zum Voraus über Versuch Wattevilles orientiert war", kabelte die Schweizer Botschaft in Washington am 28. August 1942 an den Schweizer Botschafter in Lissabon sowie die Zentrale in Bern. "Was informed in advance of Wattevilles attempt", übersetzten die Lauscher des FBI kurzerhand. Der wegen Spionage angeklagte Bekannte von Watteville wurde schließlich zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.

In den Raubgoldverhandlungen kannten sie das Höchstgebot

Doch manchmal, auch das zeigen die nun veröffentlichten Akten, ging es auch um sehr viel Geld. Im Mai 1946 war eine Delegation der Schweizer Regierung, angeführt von Minister Walter Stucki, nach Washington gereist, um über deutsches Raubgold zu verhandeln. Mit der Regierung in Bern sprachen die Unterhändler über vermeintlich sichere Leitungen und ließen sich auch ein Höchstangebot absegnen: 250 Millionen Dollar.

Die Amerikaner gaben in den Verhandlungen nicht nach, ehe die Schweiz bei ihrem Höchstgebot angelangt war. 105 abgefangene Depeschen allein zwischen August 1945 und Juli 1946 machen klar: Die Amerikaner wussten dank ihrer eifrigen Aufklärer auch in diesem Fall fast alles.

Schweizer Armee, Luftwaffe und die Diplomatie hingegen glaubten lange, ihre vertraulichen und geheimen Nachrichten seien tatsächlich von fremden Augen geschützt. In einem im Schweizerischen Bundesarchiv abgelegten Faktenblatt der Armee zur Chiffriermaschine Enigma, die in den Schweizer Auslandvertretungen immerhin bis zum Jahr 1950 eingesetzt wurde, heißt es lapidar: "Schlüsselsicherheit: sehr gut."

Dieser Artikel erschien in einer Originalversion in der Sonntagszeitung.

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