Bürgerkrieg in Syrien:Deutschland lieferte noch im April 2011 Chemikalien

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Die zivile Verwendung sei "plausibel dargestellt" worden. Das erklärt das Wirtschaftsministerium in Bezug auf Chemikalien, die deutsche Unternehmen nach Syrien geliefert haben und die auch zur Herstellung von Giftgas verwendet werden können. Jetzt kommt raus: Es gab noch deutlich mehr Lieferungen als bisher bekannt.

Deutschland hat bis Ende April 2011 Chemikalien nach Syrien geliefert, die auch zur Herstellung von Giftgas genutzt werden können. Das geht aus einer Aufstellung hervor, die das Bundeswirtschaftsministerium am Montag veröffentlichte. Danach exportierten deutsche Unternehmen zwischen 1998 und 2011 insgesamt rund 360 Tonnen Chemikalien nach Syrien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Das ist fast drei Mal so viel wie bisher bekannt. Die Lieferungen wurden erst zu Beginn des Bürgerkriegs in Syrien im Frühjahr 2011 eingestellt.

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Das Wirtschaftsministerium teilte mit, dass es weiterhin keine Zweifel an der zivilen Verwendung der Chemikalien gebe. Vor zwei Wochen hatte das Ministerium nach einer parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion bekannt gegeben, dass in den Jahren 2002, 2003, 2005 und 2006 insgesamt 134 Tonnen Chemikalien aus Deutschland nach Syrien geliefert worden seien, die auch zur Herstellung von Giftgas verwendet werden können.

Bei den Chemikalien, für die das Bundeswirtschaftsministerium noch im ersten Halbjahr 2011 eine Ausfuhrgenehmigung erteilt hatte, handelt es sich unter anderem um 4000 Kilogramm Galvanomischung mit Natriumcyanid, das zur Herstellung von Chemiewaffen verwendet werden kann. Auch im Jahr 2010 gab es eine Reihe von Genehmigungen für solche Chemikalien für Syrien, darunter 20 Tonnen Fluorwasserstofflösung und 15 Tonnen Ammoniumhydrogendifluorid.

"Plausibel dargestellt"

Jetzt liegt eine komplette Liste für die Jahre 1998 bis 2011 vor. Das Wirtschaftsministerium erklärte, die Substanzen seien für die Verwendung in der Schmuckindustrie, zur Fluorierung von Trinkwasser oder auch zur Herstellung von Zahnpasta exportiert worden. "In allen diesen Fällen wurde die geplante zivile Verwendung der Güter plausibel dargestellt", versicherte das Ministerium.

Grundlage war die sogenannte EG-Dual-Use-Verordnung, wonach der Export der Substanzen nicht generell verboten ist, weil sie auch zivil genutzt werden können. Im Ministerium wurde hervorgehoben, dass von Mai 2011 an nach Inkrafttreten der Sanktionen gegen Syrien keinerlei Genehmigungen für solche Stoffe mehr erteilt worden seien.

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© Süddeutsche.de/AFP/dpa/sks - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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