Birthler gewinnt Klage gegen Altkanzler:Gericht gibt Kohls Stasi-Akten frei

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Das Berliner Verwaltungsgericht hat das Publikationsverbot für die Stasi-Akten des Altkanzler aufgehoben. Die Richter gaben am Mittwoch einer Klage der Stasi-Aktenbeauftragten Marianne Birthler statt. Birthler begrüßte das Urteil, Kohls Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner kündigte an, Rechtsmittel dagegen einzulegen.

(SZ vom 18.9.2003) - In der Urteilsbegründung wies der Vorsitzende Richter der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts, Hans-Peter Rueß, den Vorwurf der Verfassungswidigkeit des neuen Stasi-Unterlagengesetzes zurück.

Helmut Kohl (Foto: Foto: AP)

"Der Kernbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht berührt", sagte er. Auch sei es nicht verfassungswidrig, dass die Birthler-Behörde eine Güterabwägung zwischen verschiedenen Grundrechten treffen müsse, falls ein Betroffener der Veröffentlichung seiner Akten widerspreche.

Kohls Anwälte hatten argumentiert, eine solche Abwägung zwischen sich widersprechenden Grundrechten sei unzulässig. Dass es auch "unzumutbar" für Kohl sei, sich nach der Novelle des Stasi-Unterlagengesetzes noch einmal die Akten anzusehen und sich "überhaupt damit auseinanderzusetzen", was die Behörde nun noch veröffentlichen wolle, hielt das Gericht für unbegründet.

Ebenso wenig sei zu erkennen, dass das neuen Gesetz Stasi-Opfer nun unzureichend schütze. Die Heraussgabe von Prominenten-Akten sei auf deren Amtstätigkeit beschränkt. "Wortlaut, Sinn und Zweck" der Novelle seien eindeutig.

"Ich hoffe, dass dieses Urteil bald rechtskräftig wird"

Die Bundesbeauftragte Marianne Birthler begrüßte die Entscheidung, wies allerdings darauf hin, dass die Kohl-Akten nicht an Wissenschaftler oder Journalisten herausgegeben werden dürften, solange die Gerichtsentscheidung nicht rechtskräftig sei.

"Ich hoffe, dass dieses Urteil bald rechtskräftig wird. Sobald dies der Fall ist, werden wir das inzwischen bewährte Verfahren zur Herausgabe von Unterlagen von Personen der Zeitgeschichte, die Betroffene sind, in Gang setzen", erklärte sie.

Das Verfahren biete durch Abwägung der schutzwürdigen Interessen gegen die Interessen der Öffentlichkeit und durch das sogenannte Benachrichtigungsverfahren hinreichenden Grundrechtsschutz für alle Betroffenen. Besonders erfreulich sei die "ausdrückliche Feststellung des Gerichts, dass die Neuregelung des Gesetzes nicht verfassungswidrig ist."

Zweijähriger Rechtsstreit

Der Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts war ein über zweijähriger Rechtsstreit vorausgegangen, bei dem Altkanzler Kohl jede Publikation aus seiner Stasi-Akten abgelehnt hatte.

Obwohl Wortlautprotokolle über abgehörte Telefongespäche, IM-Berichte und alle privaten Informationen aus dem zu veröffentlichenden Material aussortiert worden waren, sah Kohl seine Persönlichkeitsrechte in Gefahr.

Im März 2002 gab das Bundesverwaltungesgericht seiner Klage statt. Wenig später änderte der Bundestag gegen den Willen der Union das Stasi-Unterlagengesetz. Weil nunmehr die Publikation von Prominenten-Akten unter strengen Auflagen zulässig wurde, beantragte die Birthler-Behörde eine Änderung des Kohl-Urteils. Ihrem Antrag gab das Gericht statt.

Es wäre "unschön", so der Vorsitzende Richter, wenn das Urteil, das die Herausgabe verbiete, nach der Gesetzesänderung "einfach verdampft".

Der Vize-Vorsitzende der Uniosfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), bedauerte das Urteil. "Ich hoffe nicht, dass es Bestand haben wird, denn es bedeutet eine Bloßstellung des Stasi-Opfers Helmut Kohl", sagte er.

Der Schutz von Opfern des DDR-Geheimdienstes bleibe Zweck der Stasi-Aufarbeitung. SPD-Rechtsexperte Dieter Wiefespütz nannte die Entscheidung dagegen "wunderbar". Sie bestätige seine bisherige Rechtsauffassung. "Ich gehe allerdings davon aus, dass sich die Beteiligten vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wiedersehen werden."

© Von Constanze von Bullion - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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