Süddeutsche Zeitung

Biografie:Der Mann, der Brücken über den Atlantik baute

Lesezeit: 4 min

Martin Klingst hat das gewaltige Lebenswerk von Guido Goldman eindrucksvoll beschrieben.

Von Werner Weidenfeld

Da kommt ein junger Mann in den USA zu der Erkenntnis, man müsse die deutsch-amerikanischen Beziehungen wesentlich intensivieren und politisch-kulturell vertiefen. Er macht sich an die Arbeit und ist erfolgreich. Er schafft Orte der Zusammenarbeit und Programme zum Aufbau deutsch-amerikanischer Eliten. Alles, was er tut, erlangt historische Bedeutung. Und das geschieht, ohne dass er - Guido Goldman - ein politisches Amt angestrebt oder erlangt hätte. Er drängt nie ins Rampenlicht - und wird doch eine Schlüsselfigur transatlantischer Zeitgeschichte. Er bleibt über all die Jahre der hochbegabte Einzelgänger. Dieses besondere, ja einzigartige Phänomen wird nachvollziehbar für den Leser dieses ungewöhnlichen Buches von Martin Klingst.

Der Autor hat mehr als 25 Jahre bei der Zeit gearbeitet. Er leitete dort das politische Ressort, war deren Korrespondent in Washington und ist nun Leiter der Abteilung Strategische Kommunikation und Reden im Bundespräsidialamt.

Guido Goldman war der Sohn des berühmten Nachum Goldmann, des langjährigen Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, der in den 50er-Jahren mit dem ersten deutschen Kanzler Konrad Adenauer die Entschädigungszahlungen an Israel und an die Überlebenden des Holocaust ausgehandelt hatte. Guido Goldman erbte aus dieser großen Familiengeschichte ein geniales Talent als Netzwerker.

Im Hause Goldmann ging es lebhaft zu

Die Eltern hatten sich in den dramatischen Jahren des Dritten Reiches in Palästina, dann in der Schweiz und schließlich in New York niedergelassen. Im Hause des Nachum Goldmann geben sich prominente Gäste die Türklinke in die Hand: Präsidenten, Premierminister, Bankiers, Künstler - dann auch der erste israelische Präsident Chaim Weizmann und Konrad Adenauer. Guido Goldman wuchs in einer chaotischen familiären Gefühlswelt auf: Konflikte mit Vater und Mutter, ein haltloser Bruder. Ein symbolischer Ausdruck der Distanz zu seinem Vater mag auch die unterschiedliche Schreibweise des Namens sein: der Vater mit nn u nd der Soh n mit einem n - entstanden durch den Schreibfehler einer amerikanischen Behörde, den Guido Goldman nie mehr korrigieren ließ.

Der zweite Profilanker des Guido Goldman heißt Harvard. An dieser Spitzenuniversität studierte er, hier dozierte er 25 Jahre und hier schuf er das Center for European Studies, jenen Ort höchst qualifizierter Forschung und Lehre, aber vor allem Magnet des großen Netzwerks deutsch-amerikanischer Zusammenarbeit. In Harvard entstehen Freundschaften mit dem späteren Außenminister Henry Kissinger und dem späteren Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzeziński.

Das Center for European Studies ist sein Lebenswerk

Auch lernt er in Harvard die grandiose Koryphäe der Politikwissenschaft kennen: Stanley Hoffmann - erst sein Mentor und später sein professoraler Mitarchitekt der Harvard-Europawissenschaften. Es beginnt mit einem German Research Program unter Henry Kissinger, dessen Geschäfte Guido Goldman führt. Dann werden weitere wichtige Persönlichkeiten seine hilfreichen Gesprächspartner: der Krupp-Manager Berthold Beitz, der Chef der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, der spätere Bonner Politikberater und Berater Willy Brandts, Karl Kaiser, die späteren Chefredakteure der Zeit, Theo Sommer und Josef Joffe. Dann kommt es zur Gründung des Centers for West European Studies, bald umbenannt in Center for European Studies - und Guido Goldman besorgt das Geld für Personal, für Stipendien und Konferenzen. Als Kunstsammler, Immobilieninvestor und Treuhänder für wohlhabende Familien hat er es selbst zu einem stattlichem Vermögen gebracht.

Guido Goldman sucht und findet ein angemessenes Gebäude für diese Spitzenwissenschaft: Die Busch-Reisinger-Hall beherbergte ursprünglich ein Germanisches Museum, für das Kaiser Wilhelm II. eine große Zahl von Kunstwerken gestiftet hatte. Als in den 80er-Jahren klar wurde, dass die empfindlichen Kunstwerke in diesen alten Gemäuern kaum überlebensfähig sein würden und man sie in einen neuen Museumsbau verlagern wollte, organisierte Guido Goldman das Geld für eine Lösung: Er motivierte den Hamburger Unternehmer Werner Otto zu einer Spende für einen modernen Museumsanbau und die Erben von Minda de Gunzburg für einen denkmalgerechten Umbau der Busch-Reisinger-Hall, wohin dann das Center for European Studies umziehen konnte. Hier nun hatten die Professoren, Mitarbeiter, Habilitanden, Doktoranden und internationale Gäste optimale Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen. Hier referierten dann etwa Willy Brandt, Helmut Kohl, Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine und Angela Merkel.

Den German Marshall Funds fädelte er in Bonn ein

Zu Goldmans Lebenswerk gehört eine weitere historische Leistung: die Gründung des German Marshall Funds. Die Stiftung finanziert nicht nur ihre eigene Arbeit - die Förderung der transatlantischen Beziehungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft -, sondern auch das American Institute for Contemporary German Studies in Washington, den American Council on Germany in New York und das Marshall Memorial Fellowship. Guido Goldman regte in seinen Netzwerken an, 1972 zum 25. Jahrestag des amerikanischen Marshall-Plans solle bei der Feier dazu in Harvard die deutsche Bundesregierung doch von den damaligen, bisher nicht zurückzuzahlenden Mitteln 250 Millionen Mark für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit spenden. Goldman überzeugte schnell Finanzminister Alex Möller (SPD), dann Kanzleramtschef Horst Ehmke - und schließlich schaffte er es, diese Idee zu einem Versöhnungsprojekt der zwischenzeitlich zerstrittenen Willy Brandt und Alex Möller zu machen - inzwischen allerdings auf 150 Millionen Mark reduziert. Am 5. Juni 1972 wird bei einem Festakt in Harvard der German Marshall Fund im Beisein von Bundeskanzler Willy Brandt und Minister a. D. Alex Möller aus der Taufe gehoben. Die Erfolgsliste ließe sich fortsetzen - nicht zuletzt mit dem Stipendienprogramm John McCloy Fellowships, das bis heute bereits viele Hochbegabte im deutsch-amerikanischen Feld gefördert hat.

Am Ende des Buches muss der Leser tief durchatmen: Man hat eine unglaubliche Erfolgsgeschichte gelesen, ja in vielen Details ein Erfolgsphänomen erfahren. Aber nun - wenige Monate nach dem Tod von Guido Goldman im November 2020 - liest man den eher aktuell düsteren Schluss des Buches: "Goldman bedrückt die Rückkehr der dunklen Kräfte, er sieht sein Lebenswerk bedroht, von außen wie von innen. Nie hätte er gedacht, dass Amerika, sein eigenes Land, zum Risikofaktor wird und dass auch Europa von Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Protektionismus heimgesucht wird."

Werner Weidenfeld ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München und Rektor der Alma Mater Europaea der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Salzburg).

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5226475
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.03.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.