Christoph von Jan steht oben auf einem "Reaktor", wie er das haushohe runde Gebäude nennt, und blickt über die Hügel der Schwäbischen Alb hinüber zur Gemeinde Geislingen an der Steige. "Viele Häuser hier versorgen wir mit Gas", sagt der Geschäftsführer von Schradenbiogas. Sein Unternehmen verwertet biologische Abfälle wie alte Lebensmittel und Gülle und macht daraus Biomethan, das aufbereitet in das Gasnetz eingespeist werden kann. Bis zu 3500 Haushalte beziehen hier Gas quasi aus der Nachbarschaft. Angesichts der Verwerfungen rund um ein Energie-Embargo aus Russland stellt sich die Frage: Kann das Beispiel Geislingen eine Lösung sein?
Lange schon köchelt die Debatte, ob und wie Bioenergie genutzt werden soll. Durch den russischen Krieg in der Ukraine wird diese erheblich angefacht. Von etwa 9000 Biogas-Anlagen in Deutschland produzieren nur 250 Biomethan als Erdgasersatz, der Rest macht daraus Strom und deckt damit etwa acht Prozent des deutschen Gesamtverbrauchs ab. Dazu liefert die Landwirtschaft Bioethanol und Biodiesel, das zum Tanken gemischt wird. Für all diese Formen der Bioenergie nutzen die meisten Produzenten allerdings keine Abfälle wie auf der Schwäbischen Alb, sondern nehmen dafür Weizen, Roggen, Zuckerrüben oder Mais. Nach Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gingen 2021 knapp neun Prozent der Getreideernte in die Energieproduktion.
Energiewende:Naturschützer sind gegen neue Wasserkraftanlagen
Verbände wie der WWF und der Bund Naturschutz kritisieren vor allem die angeblich große Bedeutung kleinerer Wasserkraftwerke, deren Bedeutung die Staatsregierung bislang immer wieder hervorhob.
Einige Ministerinnen und Minister der Bundesregierung sind damit nicht mehr einverstanden. Russland und die Ukraine sind große Exporteure von Getreide oder Sonnenblumenöl, die Russen haben alle Exporte vorerst gestoppt, wie viel die Ukraine in diesem Jahr anbauen, ernten und ausführen kann, ist unsicher. Die Preise für Lebensmittel steigen, manche Länder haben Probleme, auf dem Markt einzukaufen. In Afrika oder dem Nahen Osten warnen die Vereinten Nationen bereits vor einer Hungerkrise.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte der SZ: "Es ist nicht nachhaltig, wenn wir Kraftstoff aus Weizen, Raps und Mais machen. Lebensmittel gehören zuerst auf den Teller, nicht in den Tank - das gilt insbesondere dann, wenn auf dieser Welt immer mehr Menschen hungern." Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) äußerten sich zuletzt ähnlich.
2023 endet bereits die Förderung für importierte Kraftstoffe aus Palmöl, weitere Schritte sollen folgen. Damit Mineralölkonzerne weiterhin ihre Quoten für die Beimischung von Biosprit erfüllen, könnten sie auch abfallbasierte Kraftstoffe oder grünen Wasserstoff nutzen, erklärt das Umweltministerium der SZ.
Auch Abfälle aus Restaurants könnten genutzt werden
Im sogenannten Osterpaket von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), das den Wandel hin zu erneuerbaren Energien aufzeigen soll, erhält die Bioenergie auch wenig Aufmerksamkeit. Die Branche kritisiert, dass etwa bei der Stromerzeugung künftig weniger Biogasmengen gefördert werden sollen als bisher. Das Ministerium plant, Energie aus Biomasse einzusetzen, um die Schwankungen bei Wind und Sonne auszugleichen.
Ferner sollen Betreiber animiert werden, statt Strom lieber Biomethan als Ersatz für Erdgas zu produzieren. Das zumindest klappt offenbar. Das Unternehmen Landwärme, Europas führender privater Biomethan-Händler, spricht von einer nie da gewesenen Zahl an Anfragen. Dabei ist Geschäftsführer Zoltan Elek schlecht auf Minister Habeck zu sprechen: "Bei uns und der Branche hat er nicht nachgefragt, ob und wie man die Biogasproduktion erhöhen könnte. Sondern er ist gleich nach Katar geflogen."

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Elek fordert, man sollte etwa Landwirte verpflichten, die Gülle ihrer Tiere erst zur Biogas-Anlage zu fahren, damit daraus Energie gewonnen werden könne. Mit den Gärresten könnten sie dann ihre Felder düngen. Auch Abfälle aus der Lebensmittelindustrie, Restaurants oder Supermärkten seien vermehrt nutzbar, aber es sei oft schwierig für Anlagenbetreiber, da dran zu kommen. Eleks Hoffnung liegt auf der Europäischen Union, die im Gegensatz zur Berliner Regierung die Bioenergie ausbauen will.
Christoph von Jan erklärt, seine Anlage in Geislingen laufe derzeit nur mit halber Kraft. Grund dafür seien auch komplexer werdende Verordnungen. "Manchmal gucken wir uns gegenseitig dumm an und wissen nicht, was das soll", klagt er. So dürften nur vegane Stoffe in der Anlage vergoren werden, was etwa Molkereiabfälle ausschließt. Aus Sorge vor auslaufenden Stoffen müsse eine Bioenergie-Anlage nun wie eine Tasse konstruiert sein, damit bei Lecks nichts in die umliegende Landschaft komme. Zudem müsse ein Betreiber nun Lagerbestände vorhalten, um ohne Lieferung mindestens 270 Tage weiterarbeiten zu können, statt wie vorher 180 Tage. "Das würde Investitionen in Millionenhöhe erfordern", sagt von Jan. Um das zu verhindern, fuhr er die Produktion runter.
Auch angesichts der Ministerstimmen aus Berlin schlägt die Branche Alarm. Sowohl der Fachverband Biogas wie auch der Verband der deutschen Biokraftstoffindustrie sendeten Protestnoten. Sie sehen sich als Technologieführer und wichtiger Faktor, um die Klimaziele zu erreichen. Andere kritisieren, das Potenzial werde von den Verbänden viel zu hoch angesetzt. Das Deutsche Biomasseforschungszentrum in Leipzig schätzt, dass etwa der Einsatz von Biomethan auf drei Prozent des gesamten Gasverbrauchs wachsen könnte. Bislang ist es nur ein Prozent.
Was kurzfristig geschieht, entscheiden ohnehin die Betriebe. Und derzeit weist einiges darauf hin, dass sich die Wünsche der Ministerinnen und Minister quasi von alleine erfüllen. Landwirte können aktuell mit dem Anbau von Pflanzen für den Nahrungsmittelgebrauch deutlich höhere Einnahmen erwirtschaften. Manch einer befürchtet schon einen Einbruch bei der Energie-Erzeugung.