Bin Ladens Tod, Deutschland und das Völkerrecht:Beifall für blutige Rache

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Merkel, Westerwelle, Seehofer - deutsche Regierungspolitiker bejubeln die womöglich gezielte Tötung Osama bin Ladens. Völkerrechtler fühlen sich an das Alte Testament erinnert: Statt Rechtsstaatlichkeit regiere das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Thorsten Denkler, Berlin

Bedenken hat Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar keine, als sie am früheren Nachmittag vor die Presse tritt und sagt: "Ich freue mich, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten. Das ist es, was jetzt für mich zählt."

Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet bei der Pressekonferenz in Berlin ihr Urteil über die Aktion der Amerikaner gegen den Al-Qaida-Chef: "Ich freue mich, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten. Das ist es, was jetzt für mich zählt." (Foto: AFP)

CSU-Chef Horst Seehofer hat einige Stunden zuvor gar bekannt, er habe die Nachricht mit einem "Gefühl der Freude" aufgenommen.

Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle drückt es so aus: "Dass diesem Terroristen sein blutiges Handwerk gelegt werden konnte, ist eine gute Nachricht für alle friedliebenden und freiheitlich denkenden Menschen in der Welt." Schließlich sei er einer der "brutalsten Terroristen der Welt" gewesen.

Bin Laden ist womöglich Opfer eines Targeted Killings geworden, einer gezielten Tötung durch US-Soldaten - für die Bundesregierung scheint das kein Problem zu sein. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagt, die Tötung des Terroristen sei wohl "rechtlich abgesichert" gewesen.

Wie, sagt er nicht.

Kann er auch kaum. Denn gezielte Tötungen sind nach dem Völkerrecht unzulässig, wenn die betreffenden Personen nicht aktiv an Kämpfen beteiligt sind. Bei Osama Bin Laden ist das zumindest fraglich, das zeigt eine erste Rekonstruktion seiner letzten Minuten.

"Eine Art Exekution"

US-Präsident Barack Obama versucht in seiner nächtlichen Fernsehansprache nicht mal den Eindruck zu vermeiden, dass Bin Laden von US-Soldaten regelrecht hingerichtet worden sein muss: "After a firefight, they killed Osama bin Laden", sagt er. "Nach einem Feuergefecht töteten sie Osama bin Laden". Und das offenbar per doppeltem Kopfschuss, wie berichtet wird.

"Ich gehe davon aus, dass das eine Art Exekution war", sagt Joachim Wolf, Leiter des Institutes für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrechts der Universität Bochum, zu sueddeutsche.de. Sein Urteil ist eindeutig: "Nach völkerrechtlichen Konfliktmaßstäben ist das rechtswidrig."

Bejubeln deutsche Koalitionspolitiker also eine völkerrechtswidrige Tötungsaktion? Der Bremer Völkerrechtsexperte Andreas Fischer-Lescano kommt im Gespräch mit sueddeutsche.de zu folgendem Urteil: "Da vertreten einige eine zumindest vorschnelle Auffassung."

Fischer-Lescano geht mit den Aussagen der schwarz-gelben Spitzenpolitikern hart ins Gericht: "Einer am Menschenrecht orientierten Politik würde es besser zu Gesicht stehen, auf der Einhaltung des Völkerrechtes zu bestehen, anstatt Beifall zu spenden, wenn Staaten in ihren Kampfformen völkerrechtswidrige Methoden verwenden, indem sie ohne Gerichtsprozess töten." Er hält die gezielte Tötung von Terroristen außerhalb von Kämpfen für "eines Rechtsstaates ebenso unwürdig wie die Todesstrafe".

Auge um Auge

Obama argumentiert, durch die Tötung bin Ladens sei "Gerechtigkeit" wiederhergestellt worden. Für Fischer-Lescano bezieht sich der US-Präsident damit auf ein "alttestamentarisches Gerechtigkeitsempfinden", also Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dies käme einem "Racheakt" gleich, sei aber "kein völkerrechtlicher Legitimationsgrund".

Der Historiker und Politologe Bernd Greiner kommt im Interview mit sueddeutsche.de dagegen zu einem anderen Urteil: "Bin Laden hat sich selbst zur Kriegspartei erklärt, er bezeichnete sich als Kämpfer des Dschihad. Deshalb bewegt sich die Tötung durchaus in den Grenzen des internationalen Kriegsrechts." Greiner argumentiert, das Recht lasse sich "entsprechend dehnen", und sagt über Osama bin Laden: "Wenn sich jemand selbst so klassifiziert, muss er mit den Folgen rechnen.

Joachim Wolf von der Uni Bochum erkennt zwar an, dass sich die heutige Form der Kriegsführung im Kampf gegen den Terrorismus kaum noch mit völkerrechtlichen Maßstäben einordnen lasse. Er macht das aber vor allem an der schlechten Informationslage fest: Klassische Gerichte müssten mit dem vorliebnehmen, was ihnen Geheimdienste zur Verfügung stellten, eigene Ermittlungen seien nahezu unmöglich, sagt Wolf. Selbst über bin Laden sei heute nichts Gesichertes bekannt. Dafür, dass er der Drahtzieher im Al-Qaida-Netzwerk sein soll, gebe es keine beweiskräftigen Informationen.

Nur: "Mangelnde Informationen können nicht dazu führen, dass rechtsstaatliche Prinzipien ausgehebelt werden", sagt Wolf. Mit anderen Worten: Auch für bin Laden muss die Unschuldsvermutung gelten, solange ihm nicht das Gegenteil nachgewiesen werden kann.

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