Bin-Laden-Tötung:"Osama, Obama, Drama"

Die Bewohner von Abbottabad, dem Todesort des Al-Qaida-Chefs, halten die Kommandoaktion der USA für eine Inszenierung. Gerüchte machen die Runde - und der Hass auf Amerika bricht sich Bahn.

Tobias Matern, Abbottabad

Die Zweifel sind geblieben. Tahir Khan findet es zwar "schockierend", dass Osama bin Laden sein Nachbar gewesen sein soll. Der Bewohner von Abbottabad sagt aber auch: "Wer weiß denn schon, ob er wirklich hier gelebt hat und nun wirklich tot ist."

Mitglieder der islamistischen Gruppe Jamaat-e-Islami protestieren in Abbottabad wegen der US-Kommandoaktion, bei der Al-Qaida-Führer Osama bin Laden getötet worden war.

Wut auf Washington: Mitglieder der islamistischen Gruppe Jamaat-e-Islami protestieren in Abbottabad wegen der US-Kommandoaktion, bei der Al-Qaida-Führer Osama bin Laden getötet worden war.

(Foto: AP)

An seiner Sichtweise ändert auch das Eingeständnis al-Qaidas nichts: Die Terrorgruppe bestätigte auf einer Internetseite, ihr Anführer sei tatsächlich ums Leben gekommen. So meldete es zumindest der auf das Auswerten islamistischer Webseiten spezialisierte Informationsdienst Site am Freitag.

Viele Pakistaner bleiben dennoch bei ihrer eigenen Version, was in der Nacht zu Montag in der gut gepflegten Garnisonsstadt Abbottabad beim Einsatz der Navy Seals geschehen ist. Nur so viel steht für die große Mehrheit fest: Amerikas Regierung ist und bleibt der Feind, der Osama bin Laden nie war.

Das sehen nicht nur die Demonstranten der islamistischen Jamaat-e-Islami so, die am Freitag im Zentrum von Abbottabad gegen die "USA, die größten Terroristen der Welt" ihre Parolen skandieren. Das sieht nicht nur der Imam so, der bei der Predigt in Abbottabad sagt: "Die USA können so viele Osamas töten, wie sie wollen. Den globalen Siegeszug des Islam werden sie damit nicht stoppen."

Trotz der weitverbreiten Zweifel: Zu Hunderten pilgern die Einheimischen zu dem dreistöckigen Haus, in dem nun einige Fensterscheiben fehlen. Am Freitag war das letzte Domizil des Al-Qaida-Chefs allerdings zunächst weiträumig abgesperrt. Die Sicherheitsbehörden befürchteten, der Menschenauflauf könnte Ziel eines Anschlags werden.

Am Freitag setzten die USA zum ersten Mal seit der Tötung Bin Ladens unbemannte Drohnen in den pakistanischen Stammesgebieten ein - eine Praxis, die US-Präsident Barack Obama massiv ausgeweitet hat. Dabei starben in Nord-Waziristan, das als zentrales Rückzugsgebiet der Extremisten gilt, nach Angaben eines Nachrichtensenders mindestens

13 Menschen. Solche Attacken fördern den Unmut über Amerika. Schwerer wiegt aber, dass Obama entschieden hat, kein Foto vom getöteten Al-Qaida-Chef zu veröffentlichen. Die Verschwörungstheoretiker fühlen sich dadurch bestätigt. "Was hat Obama denn zu verbergen?", fragt Tahir Khan.

Selbst der Journalist einer liberalen Zeitung ist sich sicher: "Osama bin Laden ist in der Nacht zu Montag nicht in Abbottabad gestorben." Es gebe viel zu viele Ungereimtheiten. Natürlich sei etwa der pakistanische Geheimdienst ISI entgegen der offiziellen Version an der Aktion beteiligt gewesen, könne dies aber wegen der antiamerikanischen Stimmung in Pakistan nicht zugeben. Aus Sicht des Journalisten müsste der Titel zur Kommandoaktion der Navy Seals so lauten: "Osama, Obama, Drama". Washington spiele der ganzen Welt ein bühnenreifes Theaterstück vor.

Blamage für Pakistans Militär und Geheimdienst

Dabei haben die politische Führung und auch die Armee erklärt: Die Amerikaner haben Osama bin Laden im Alleingang getötet. Die verbalen Attacken des pakistanischen Armeechefs gegen die USA dienen nun dem Ziel, die einheimischen Kritiker zu besänftigen.

Ashfaq Parvez Kayani drohte, falls die Amerikaner noch einmal Pakistans Eigenständigkeit durch eine nicht angekündigte Kommandoaktion unterwanderten, sei die weitere Zusammenarbeit in Gefahr. Das Militär nimmt allerdings gern die finanzielle Unterstützung aus Washington für den Anti-Terror-Kampf an.

Auch Außenstaatssekretär Salman Baschir kündigte massive Konsequenzen für den Fall an, dass ein Land meine, es könne die Aktion der Amerikaner auf pakistanischem Territorium nachahmen.

Das ging an die Adresse Indiens. In Neu-Delhi hatte die Armeeführung laut darüber nachgedacht, ob solche Attacken nicht der beste Weg seien, um pakistanische Terroristen auszuschalten. Indien bezichtigt den Erzfeind Pakistan, noch immer Hintermänner der Anschläge von Mumbai zu decken.

Die verbale Offensive kann aber eines nicht überdecken: Das Ansehen der bislang nahezu allmächtigen Armee hat gelitten. Die Männer in Uniform haben es bisher immer wieder geschafft, ein Bild zu festigen: die Armee als Retter der muslimischen Nation, die im Zweifel inkompetenten, korrupten Politikern vorzuziehen ist. "Die Aktion ist eine große Blamage für das Militär und den Geheimdienst", sagt der pensionierte General Talat Masud. Das erste Mal seit Jahren müssten sie sich kritische Fragen gefallen lassen. Vielleicht könne die zivile Führung daraus Kapital schlagen und ihren Spielraum gegen den übermächtige Sicherheitsapparat ausweiten.

Masud, einer der profiliertesten Analysten des Landes, ist übrigens kein Verschwörungstheoretiker. "Bin Laden ist tot", sagt er.

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