Abgeschobener Bin-Laden-Leibwächter:Was lief schief im Fall Sami A.?

Joachim Stamp

Welche Schuld trifft sein Ministerium? Joachim Stamp, FDP, leitet das Ressort für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in NRW.

(Foto: dpa)

Die Behörden haben bei der Abschiebung des islamistischen Gefährders versagt. Nun liegt der Fall bei den Gerichten - und liefert der Debatte um Deutschlands Asylpolitik neuen Stoff. Fragen und Antworten.

Von Lena Jakat

Wer ist Sami A.?

Sami A. kam 1997 zum Studieren nach Deutschland und lebte in den vergangenen Jahren mit Frau und Kindern in Bochum. Er wurde von den Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder eingestuft: Im Jahr 2000 soll er eine militärische Ausbildung in einem Al-Qaida-Lager in Afghanistan erhalten und zeitweise zur Leibgarde von Osama bin Laden gehört haben. Der Gründer des Terrornetzwerks al-Qaida wurde 2011 in Pakistan von einem US-Kommando getötet. Später soll sich Sami A. in Deutschland als salafistischer Prediger betätigt haben - der Tunesier hat diese Vorwürfe allerdings stets bestritten. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, weil ein hinreichender Tatverdacht fehlte.

Wenn er als "Gefährder" gilt, warum wurde er nicht längst abgeschoben?

Die Behörden versuchen seit vier Jahren, den Mann auszuweisen. 2014 hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) das Abschiebeverbot erstmals aufgehoben. Gegen diese Aufhebung wehrte sich der Tunesier lange erfolgreich vor Gericht. Im Juni 2018 hob das Bamf das Abschiebeverbot erneut auf. Sami A. wurde festgenommen und kam in ein Abschiebegefängnis.

Wie verlief die Abschiebung?

Nach Angaben aus Sicherheitskreisen wurde der Mann am Freitagmorgen gegen sieben Uhr per Chartermaschine von Düsseldorf aus in sein Heimatland geflogen. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums bestätigte später, dass A. in Begleitung von vier Bundespolizisten außer Landes gebracht wurde.

Und was war daran problematisch?

Sami A. hätte gar nicht abgeschoben werden dürfen. Das hatte bereits am Donnerstag das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden. Die Begründung für das neuerliche Abschiebeverbot: Dem Tunesier drohe in seiner Heimat Folter.

Was ist da schiefgelaufen?

Die Entscheidung aus Gelsenkirchen lag am Freitagmorgen um sieben Uhr weder dem Bamf vor, noch dem nordrhein-westfälischen Flüchtlingsministerium. Von dort hieß es, man habe keine Kenntnis über ein Abschiebeverbot. Das Bamf erhielt nach Angaben des Gerichts in Gelsenkirchen am Freitagmorgen um 8.27 Uhr ein Fax mit dem Verbot - zu diesem Zeitpunkt war der Flieger mit Sami A. bereits seit mehr als einer Stunde in der Luft.

Was ist dann passiert?

Sami A. stellte noch am Freitag einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, dem die zuständige Kammer umgehend stattgab. Er sei "unverzüglich auf Kosten der Ausländerbehörde in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen". Seine Abschiebung sei "grob rechtswidrig" und verletze "grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien".

Wo haben die Behörden versagt?

Das zuständige Flüchtlingsministerium in NRW berief sich am Freitag stets auf eine andere, dem Abschiebeverbot vorangegangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom Mittwoch. Darin sei die Abschiebungsandrohung des Ausländeramts der Stadt Bochum für rechtmäßig erachtet worden. "Auf Grundlage dieses Beschlusses ist die Rückführung nach Tunesien durchgeführt worden", hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums vom Freitagnachmittag. Das Gelsenkirchener Gericht erachtet seinen Beschluss vom Mittwoch nicht als ausreichende Grundlage für die Abschiebung: Die Abschiebungsandrohung diene "lediglich der rechtlichen Vorbereitung der tatsächlichen Abschiebung".

Zu spät über Abschiebung informiert

Und das Bamf?

Dass das Bamf wiederum erst am Freitag über das Abschiebeverbot informiert wurde, ist nach Angaben des Gerichts darauf zurückzuführen, dass alle beteiligten Behörden trotz mehrfacher Anfragen den Zeitpunkt der geplanten Abschiebung nicht bekanntgegeben hätten. Das Auswärtige Amt war allerdings bereits seit Montag über den geplanten Flug informiert, wie ein Sprecher bestätigte.

Welche Rolle spielt das Bundesinnenministerium?

Als Horst Seehofer Bundeinnenminister wurde, erklärte er Sami A., der längst in der Öffentlichkeit für Empörung sorgte, zur Chefsache: Er sei "entschlossen, da weiter dran zu bleiben an dem Fall". Zwar treffen die Entscheidung über das Ob und das Wann einer Abschiebung die Länderbehörden. Doch der Bund ist ebenfalls involviert, etwa bei der Beschaffung von Passersatzpapieren oder der Durchführung von Abschiebungen, für die die Bundespolizei zuständig ist. Diese untersteht - wie das Bamf - dem Bundesinnenministerium.

Nach der Abschiebung von Sami A. am Freitag sagte eine Sprecherin, die Entscheidung über eine Ausweisung liege beim Land Nordrhein-Westfalen - das Bundesinnenministerium habe die dortigen Behörden aber "unterstützt". Seehofer sei "nach Beendigung der Rückführung" informiert worden, "sprich mit Übergabe an die tunesischen Behörden". Auf die Frage eines Journalisten, ob der Gefährder womöglich zurückgeholt werden müsse, sagte sie: "Das ist tatsächlich Sache von NRW und im Ergebnis des Gerichts."

Wie geht es jetzt weiter?

Das Flüchtlingsministerium NRW und das Ausländeramt der Stadt Bochum haben angekündigt, Beschwerde gegen den Rückhol-Beschluss einzulegen - zuständig ist das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen. Dort kündigte man am Freitag allerdings schon an, sich mit etwaigen Beschwerden erst nach dem Wochenende zu befassen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Sami A. zurückkommt?

Es ist völlig offen, ob Tunesien seinen Staatsbürger überhaupt nach Deutschland zurückschicken würde - schließlich ermitteln die dortigen Behörden ihrerseits gegen den Mann. Er sei tunesischer Staatsbürger und seit Januar 2018 wegen Terrorverdachts in Tunesien zur Fahndung ausgeschrieben, sagte der Sprecher der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft. "Dieser Fall betrifft die Justiz Tunesiens, das ein souveräner Staat ist."

Nach seiner Ankunft auf dem Flughafen Enfidha bei Hammamet wurde Sami A. umgehend in Gewahrsam genommen. Er steht unter Arrest und wird nach Angaben der tunesischen Behörden derzeit verhört. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa Informationen befindet er sich in der auf Terrorfälle spezialistierten Gorjani-Einrichtung in der Hauptstadt Tunis.

Und wie reagiert die Politik?

CDU-Innenpolitiker Armin Schuster, plädiert dafür, Sami A. vorerst nicht zurückzuholen. Zunächst sollte die nächste Instanz entscheiden, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. "Da habe ich keine schlaflosen Nächte. Immerhin handelt es sich um einen ausreisepflichtigen Gefährder mit Al-Qaida-Ausbildung." Die AfD wertet den Fall Sami A. als Beweis für ein angebliches Systemversagen. Parteivorsitzender Alexander Gauland erklärte: "Es besteht die Gefahr, dass deutsche Gerichte durch solche Entscheidungen zum Totengräber des Rechtsstaats werden."

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sieht in dem Fall dagegen einen Beleg für die Qualität des deutschen Rechtsstaats. Ein Sprecher sagte: Auf den ersten Blick sei der Fall Sami A. "nicht ganz so verständlich". "Man möchte ja wirklich sagen, wen soll man noch abschieben, wenn nicht den." Aber bei näheren Nachdenken "merkt man eben, dass es eigentlich für die Qualität des ganzen Asylsystems spricht", wenn alle Fragen hinsichtlich der rechtsstaatlichen Kriterien gestellt und auch beantwortet würden.

Für SPD-Vize Ralf Stegner verursacht das Hin und Her erheblichen politischen Schaden. Gefährder bedrohten das Land, doch beim Umgang mit ihnen müssten "Recht und Gesetz" gelten, sagte Stegner am Samstag. "Das unterscheidet Deutschland von Unrechtsstaaten. Leider ist in diesem Fall ganz offenkundig dieser Grundsatz missachtet worden."

Mit Material der Agenturen dpa und AFP.

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