Bill de Blasio vor Wahlsieg in New York:Kampfansage an die Stadt der Milliardäre

NYC Mayoral Candidate Bill De Blasio Hosts Primary Night Party In Brooklyn

Umjubelter New Yorker Bürgermeisterkandidat: Bill de Blasio mit Sohn Dante (li), Tochter Chiara (Mitte) und Ehefrau Chirlane McCray.

(Foto: AFP)

New York ist unter Bürgermeister Bloomberg sicherer und reicher geworden - aber vielen wird das Leben zu teuer. In ihrer Vorwahl stimmen die Demokraten klar für den linken Kandidaten Bill de Blasio. Er dürfte der nächste Bürgermeister werden.

Von Jannis Brühl, New York

Rod hatte seine Kandidatin schon gefunden. "Ich habe eigentlich nichts mit Bill de Blasio gemeinsam", sagt er. "Ich bin schwul, Single und selbständig." Deshalb wollte er eigentlich für Christine Quinn stimmen, die als wirtschaftsfreundlich geltende, lesbische Bewerberin für die demokratische Kandidatur auf das New Yorker Bürgermeisteramt.

Doch nach einer Debatte der Kandidaten vor einigen Monaten stand er "100 Prozent hinter de Blasio." Der sei modern und progressiv - wie die New Yorker eben. Weiter kommt der 45-Jährige mit dem gestutzten Vollbart nicht, der unterm Hemd das weiß-rote Shirt der De-Blasio-Freiwilligen trägt.

Er schreit und jubelt, wie die etwa hundert Menschen um ihn herum. Fäuste fliegen in die Luft. Auf dem Bildschirm, den das Team des Kandidaten vor einem Flachbau aus Backstein in Brooklyn aufgebaut hat, sind neue Zahlen erschienen: De Blasio - 40 Prozent. Das dürfte reichen.

Der 52-Jährige, der hier mit seinem engsten Kreis anstößt, gewinnt die Vorwahl der Demokraten. Weil er nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmen knapp über der Marke von 40 Prozent liegt, muss er voraussichtlich nicht einmal in die Stichwahl. Auf den Plätzen hinter ihm landen William Thompson, ehemaliger Finanzaufseher der Stadt, mit 26 Prozent der Stimmen, und Christine Quinn, Vorsitzende des Stadtrates, mit 15,5 Prozent.

Kampagne mit einer "Geschichte der zwei Städte"

Weil seinem republikanischer Gegner in der Bürgermeisterwahl am 5. November, Joseph Lhota, das Format seiner Parteikollegen wie Rudolph Giuliani und Michael Bloomberg fehlt, gilt de Blasios Sieg als sehr wahrscheinlich. In New York gibt es sechsmal so viele registrierte Demokraten wie Republikaner.

New York erzählt angeblich acht Millionen Geschichten. Eine für jeden Einwohner. De Blasio machte Wahlkampf mit der einen Geschichte, die seiner Meinung nach zu selten erzählt wird: "A tale of two Cities" - Eine Geschichte aus zwei Städten. Sein Slogan war eine Anspielung auf Charles Dickens' Klassiker.

Die eine Stadt ist die der Millionen-Dollar-Apartments mit Blick auf den Central Park, der Bankentürme von Mid- und Downtown: Sie handelt von wirtschaftlichem Erfolg, von immer weniger Verbrechen und immer mehr Touristen. Es ist das New York der Geschäftsleute und Immobilienspekulanten.

Die andere Stadt ist das New York der Menschen, die immer mehr Probleme haben, steigende Mieten und andere Lebenshaltungskosten zu bezahlen. Die nur aufgrund ihrer Hautfarbe von Polizisten angehalten und durchsucht werden. Es ist das New York, das Bill de Blasio umgarnt hat, und das ihm nun seine Stimmen geschenkt hat. Umfragen am Wahltag zeigen, dass er am meisten mit dem Thema "Wohnen" punkten konnte.

De Blasio verspricht viel

"Wir hatten zu lange Manager", sagt Rod. Damit meint er den scheidenden Bürgermeister Michael Bloomberg. Der Unternehmer und Milliardär präsentierte sich stets als überparteilich und pragmatisch - doch für Rods Geschmack war er zu freundlich zu den "Oligarchen", die Appartments in der Stadt aufkaufen und Immobilienpreise in die Höhe treiben. Wie ihm ging es vielen in der Stadt. Spät entdeckten sie de Blasio und seine Slogans von sozialer Gerechtigkeit. Der frühere Stadtrat ist derzeit noch Public Advocate, eine Art Bürgeranwalt, der die Stadtregierung kontrollieren soll.

Vor wenigen Wochen interessierte sich noch niemand für ihn. Dann folgte ein steiler Aufstieg in den Umfragen. Denn er hat viel versprochen: Mehr Geld für die Ärmsten, Einhalt den Immobilienentwicklern, die Wohnen unbezahlbar machen, Kinder-Tagesbetreuungsplätze für alle, Frauenrechte, Homosexuellenrechte, Kampf gegen Obdachlosigkeit. Die Demokratische Partei - und mit ihr ein großer Teil der Stadt - wendet sich nach links.

Das Votum für de Blasio ist ein klarer Bruch mit den vergangenen zwölf Jahren, eine Abkehr von der Ära Bloomberg. Obwohl dessen Amtszeit lange als Erfolg galt, sind viele New Yorker am Ende enttäuscht von ihm. Viele machen ihn dafür verantwortlich, dass Gewinner und Verlierer in der Stadt immer weiter auseinanderdriften (was allerdings im ganzen Land geschieht). De Blasio hat dieses Unwohlsein gekonnt genutzt.

Gestolpert über Sex-Skandale oder die Nähe zu Bloomberg

Die neun Kandidaten der Parteien kämpften buchstäblich auf den letzten Metern. Insgesamt 87 Termine absolvierten sie am letzten Tag, um Wähler zu überzeugen, ein Drittel davon direkt vor Wahllokalen. Das Rennen war turbulent, in den Umfragen führte lange Christine Quinn, dann Anthony Weiner. Der ehemalige Kongressabgeordnete, der zurückgetreten war, weil er via Twitter schlüpfrige Fotos von sich veröffentlichte, schien zunächst rehabilitiert. Bis neue Enthüllungen über heimliche Liebschaften, die er neben seiner Ehe pflegte, ihn wieder abstürzen ließen.

Der Wahlkampf geriet längst in eine Art Wettstreit in der Disziplin: Wer distanziert sich am meisten von Michael Bloomberg? Dessen vermeintliche Erfolge waren den Kandidaten nicht gut genug: Der Wirtschaftsboom der Stadt führt zu steigenden Mieten. Der erfolgreiche Kampf gegen das Verbrechen trat in den Hintergrund, weil viele New Yorker die "stop-and-frisk"-Strategie der Polizei für rassistisch halten: Schwarze und Latinos werden überproportional oft angehalten. Im August erklärte ein Gericht stop and frisk, laut Bloomberg unerlässlich für die Sicherheit der Bürger, für verfassungswidrig. De Blasio hatte sich vehement gegen die Praxis ausgesprochen.

Am Ende entglitt dem Stadtmanager Bloomberg, der wohl sein Erbe durch den relativ radikalen de Blasio in Gefahr sieht, die Contenance. In einem Interview mit dem New York Magazine warf de Blasio "Klassenkampf" vor, seine Kampagne sei "rassistisch". De Blasios schwarze Frau, die Schriftstellerin Chirlane McCray, hatte offensiv für ihn Wahlkampf gemacht und in Spots lobte Dante, der Sohn des Paares mit auffälliger Afro-Frisur, seinen Vater. Die New York Times hat Dantes Frisur zum "wohl langlebigsten Bild dieses Wahlkampfes" erklärt. In seiner Siegesrede in Brooklyn, in der de Blasio seinem Team dankt, ist der Jubel für Dante und seine Schwester Chiara dann auch am lautesten.

De Blasio gewann genauso viele Stimmen aus den Reihen der schwarzen Demokraten wie auch William Thompson, der einzige Afroamerikaner im Rennen. Er war Bloomberg in der Bürgermeisterwahl vor vier Jahren überraschend knapp unterlegen. Doch Thompson hat das Problem, dass er als zu steif und unauffällig gilt - und auch bei Schwarzen nicht automatisch gut ankommt. Christine Quinn buhlte verstärkt um die Stimmen von Frauen und Latinos. Ihr, die für Monate Favoritin war, wurde die Nähe zu Bloomberg zum Verhängnis. Für Anthony Weiner stimmten nicht einmal fünf Prozent

Der republikanische Kandidat Lhota setzte sich am Ende mit mehr als der Hälfte der Stimmen der registrierten Republikaner gegen John Catsimatidis durch. Lhota, ein früherer Investmentbanker, später unter Giuliani Top-Bürokrat und dann Chef der Verkehrsbetriebe, nennt sich selbst "Brooklyn conservative" - nach dem progressiven Teils New Yorks. Er will, dass Homosexuelle heiraten und Frauen abtreiben dürfen. Lhota ist wirtschaftsfreundlich und preist sich als Organisationstalent, verweist darauf, dass er das Verkehrschaos nach dem 11. September ordnete.

Er will ein Stadtmanager sein wie Bloomberg. Ob er damit gegen Bill de Blasio punkten kann? Wohl kaum. Am 5. November werden die New Yorker entscheiden.

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