Freundschaft ist ein großes Wort. 25 Jahre alt wird der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag in diesem Jahr, da ist von Freundschaft viel die Rede. Dabei war der Ton zwischen beiden Ländern in den vergangenen Jahren nicht immer freundschaftlich. Die Deutschen klagten über mangelnde polnische Solidarität in der Flüchtlingskrise, die Polen nannten die Deutschen naiv.
Warum Debatten wie diese zwischen Deutschland und Polen häufig besonders emotional ablaufen, versteht besser, wer die gemeinsame Geschichte der beiden Länder kennt. Insofern ist es ein wegweisendes Projekt, das am Mittwoch an der Robert-Jungk-Oberschule in Berlin vorgestellt wurde: ein Geschichtsbuch, das deutsche und polnische Lehrer und Historiker gemeinsam erarbeitet haben.
Die Außenminister beider Länder, Frank-Walter Steinmeier und Witold Waszczykowski, machten auf dem Weg zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung ihrer Regierungen einen Stopp in dieser Schule, um die außergewöhnliche Zusammenarbeit und nebenbei auch den Nachbarschaftsvertrag zu würdigen. "Selbstverständlich ist das nicht, nach allem, was die Deutschen den Polen im 20. Jahrhundert angetan haben", sagte Steinmeier.
In der Tat schwingt etwa die traumatische Erfahrung des deutschen Überfalls auf Polen im Jahr 1939 auch heute oft mit, wenn sich polnische Politiker über die deutsche Dominanz in Europa beklagen. Ein gemeinsam erarbeitetes Geschichtsbuch könne da helfen, die Traumata, Bedürfnisse und Befindlichkeiten des jeweils anderen besser zu verstehen, sagte Steinmeier. Waszczykowski pflichtete ihm bei. "Vor 40 Jahren, als ich zur Schule ging, konnte ich von so einem Buch nur träumen", sagte er.
Den Autoren des Geschichtsbuchs ist es wichtig zu betonen, dass es sich nicht ausschließlich um die deutsch-polnischen Beziehungen dreht. "Europa - Unsere Geschichte" heißt es. Es habe die unterschiedlichen Erfahrungen aller europäischen Länder zum Thema, sagte Michael Müller von der Martin-Luther-Universität in Halle, Co-Vorsitzender des Expertenrates. Die Besonderheit liege darin, dass es unterschiedliche Sichtweisen herausarbeitet. "Wir wollten keine einheitliche, geglättete Erzählung anbieten." Die Schüler müssten begreifen, dass es in Europa unterschiedliche Erfahrungen gebe und dass diese das eigene Verständnis von Geschichte prägen.