Bildung:Mus das sain?

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann tritt einen hübschen neuen Streit um die Rechtschreibung los - und kann sich dabei immerhin auf ein großes Vorbild berufen. Widerspruch aber gab's sofort.

Von Paul Munzinger

Wozu brauchen wir Rechtschreibung? Die Frage ist längst nicht so leicht zu beantworten, wie es auf den ersten Blick erscheint. Natürlich, würde jeder Mensch jedes Wort so schreiben, wie es ihr oder ihm beliebt, dann würde der Diskurs in der Gesellschaft irgendwann schwierig, zumindest der schriftliche. Doch erstens lässt sich die korrekte Orthografie, zum Beispiel für eine Bewerbung, heute an Rechtschreibprogramme outsourcen. Und zweitens versinkt die Welt noch lange nicht in babylonischem Chaos, nur weil jemand das Dehnungs-h vergisst oder die Groß- und Kleinschreibung großzügig auslegt - auf Whatsapp verstehen sich die Leute schließlich auch. Und ist am Ende nicht wichtiger als die Regeln: dass man sich versteht?

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann jedenfalls präsentiert sich beim Thema Rechtschreibung als gelassener Freigeist. Klar, ein "Grundgerüst an Rechtschreibkenntnissen" brauche der Mensch, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Aber die Bedeutung, Rechtschreibung zu pauken, nimmt ab, weil wir heute ja nur noch selten handschriftlich schreiben." Das unter Schülern einst gefürchtete Diktat zum Beispiel ist heute eher old school, nicht nur in Baden-Württemberg, und Kretschmann klingt nicht wie jemand, der diese Entwicklung bedauert. Es gebe ja "kluge Geräte", um Grammatik und Fehler zu korrigieren, und insgesamt glaube er nicht, "dass Rechtschreibung jetzt zu den großen, gravierenden Problemen der Bildungspolitik gehört". Vor seiner politischen Karriere war Kretschmann übrigens Lehrer, für Biologie und Chemie.

Widerspruch gab's sofort, von Kretschmanns CDU-Bildungsministerin Susanne Eisenmann ("Schlüsselqualifikation"!) und, natürlich, vom Rat für deutsche Rechtschreibung. Kretschmann aber kann sich nicht nur auf den Zeitgeist berufen, sondern auch auf einen zeitlosen Geist, dem gerade Deutschlehrer kaum widersprechen dürften: auf Goethe. Der bekannte einst, die "konsequente Rechtschreibung" sei ihm "immer ziemlich gleichgültig" gewesen.

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