Holocaust-Gedenken und Bildung:Kollision der Gedächtnisse

KZ-Tür mit Aufschrift ´Arbeit macht frei" gestohlen

Junge Besucher vor dem stählernen Eingangstor mit der Inschrift 'Arbeit macht frei' im ehemaligen Konzentrationslager in Dachau bei München.

(Foto: dpa)
  • Historiker und Praktiker haben sich beim Dachauer Symposium darüber ausgetauscht, wie Gedenkstättenarbeit mit Migranten funktionieren kann.
  • Die Ansätze sind vielfältig, wie ein begleitender Band zeigt.

Rezension von Robert Probst

Vor zehn Jahren standen die KZ-Gedenkstätten vor einer gewaltigen Herausforderung. Das Ende der Ära der Zeitzeugen war absehbar, neue pädagogische Konzepte mussten entwickelt und in der Praxis getestet werden; denn lange Zeit schien nichts eindrücklicher für Schulklassen zu sein als ein Gespräch mit einem Überlebenden oder einer Überlebenden.

Zu dieser Herausforderung haben sich allerdings weitere gesellt, verstärkt seit dem Zuzug von fast einer Million Migranten im Jahr 2015.

Historiker und Praktiker aus den Gedenkstätten haben sich daher auf dem Dachauer Symposium für Zeitgeschichte darüber unterhalten, wie die "zunächst zwingend nationalgeschichtlich orientierte selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus über den nationalgeschichtlichen Referenzrahmen hinaus für Menschen anderer Herkunft und Erfahrung geöffnet und relevant werden kann".

Einig war man sich, dass verpflichtende Besuche von Schulklassen in einer Gedenkstätte, wie es immer wieder mal gefordert wird, das Problem nicht lösen.

Der Band mit dem Untertitel "Die Erfahrungen des Nationalsozialismus und historisch-politisches Lernen in der (Post-)Migrationsgesellschaft" versammelt die Vorträge und die Diskussion - und er ist aufgrund der unterschiedlichen Ansätze lohnend und anregend über das angesprochene Fachpublikum hinaus.

So erzählt etwa die stellvertretende Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz, Elke Gryglewski, von den Erfahrungen mit muslimischen Jugendlichen, die nach ihrem Eindruck keinesfalls die Beschäftigung mit den NS-Verbrechen verweigern, von so profanen Neuerungen, dass Informationstafeln nun auch ins Türkische und Arabische übersetzt wurden, und dass sich geflüchtete Jugendliche nach einem Vorbereitungskurs gegenseitig durch die Ausstellung führen können.

Roland Hirte, pädagogischer Mitarbeiter in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald erzählt von traumatisierten Geflüchteten, die angesichts des "Prügelbocks" davon berichten, dass die Polizei in Syrien noch heute mit derartigen "Maschinen" arbeitet.

Menschen mit Migrationshintergrund als "Nichtbetroffene"

Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, stellt die Frage, was es für Menschen mit Migrationshintergrund bedeutet, wenn sie von Haus aus als "Nichtbetroffene" von einem gemeinsamen Erfahren und Lernen durch die Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen sind.

Und der Historiker Omar Kamil erklärt eindrucksvoll, wie es zur "Kollision der Gedächtnisse" gekommen ist. Seine These: Europa blickt auf den Zweiten Weltkrieg und sieht vor allem den Holocaust, im arabischen Raum steht aber für diesen Zeitraum die koloniale Gewalterfahrung im Vordergrund.

Wenn man sich hierzulande für arabische Geschichtsnarrative öffnen würde, ließen sich Holocaust-Erinnerungen als Brücke für unterschiedliche Gewalterfahrungen nutzen, so die These.

Volkhard Knigge, Sybille Steinbacher (Hg.): Geschichte von gestern für Deutsche von morgen? Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Band 17. Wallstein-Verlag, Göttingen 2019. 220 Seiten, 20 Euro.

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