Süddeutsche Zeitung

Bildschirm statt Papier:Schnörkellos in die Zukunft

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Das US-Außenministerium will moderner daherkommen und verpasst sich eine neue Schriftart. Was wie eine Technikalie wirkt, ist ein Zeichen der Zeit.

Von Fabian Fellmann, Washington

Schluss mit Schnörkeln: Die fast 70 000 Mitarbeiter im US-Außenministerium dürfen ihre Berichte an die Chefetage nicht mehr in der Schriftart Times New Roman erstellen. Das hat Antony Blinken diese Woche verfügt. Der Außenminister mit einem Herz für Rock 'n' Roll verkündete die neue Weisung intern mit einem Titel, für den er sich die Inspiration bei Bob Dylan holte: "The Times (New Roman) Are a-Changin'".

Übertrieben ist das keineswegs. Der Abschied von der bisherigen Schriftart ist weit mehr als eine Technikalie. Sie markiert vielmehr den Übergang vom Papier- ins Digitalzeitalter, und in dem scheint nun langsam auch das State Departement anzukommen.

Wie kaum eine andere Schriftart steht Times New Roman für auf Papier gedruckten Text. Sie ist mit Serifen geschmückt, kurzen Linien an und auf Buchstaben, auch Flügelchen und Füßchen genannt. Sie sollen dem Auge die Orientierung in Bleiwüsten erleichtern. Das sind eng mit kleinen Zeichen bedruckte Seiten, wie sie in Büchern oder auch Zeitungen zu finden sind, die darum traditionell in Serifenschriften gesetzt werden.

Eine der bekanntesten Zeichensätze mit Serifen ist Times New Roman, 1932 erstmals in der britischen Traditionszeitung The Times publiziert, damals noch in Blei gesetzt. Das Aufkommen der digitalen Textverarbeitung konnte der Schriftart zunächst nicht zusetzen, im Gegenteil. Dank Microsoft verbreitete sie sich über den ganzen Planeten als Standardeinstellung in Word ab Version 97. Das amerikanische Außenministerium erhob sie 2004 zum internen Font der Wahl, ein passendes Symbol für die politisch-wirtschaftliche Dominanz des Riesenlandes mit seinen gigantischen IT-Konzernen.

Auf Bildschirmen braucht es keine Schnörkel

Inzwischen aber ist Times New Roman aus der Zeit gefallen. Der Bildschirmplatz ist nicht annähernd so endlich wie der auf einer Zeitungsseite, Schriften lassen sich beliebig vergrößern, bis sie auch über 50-Jährige ohne Sehhilfe lesen können. Auf modernen, hoch aufgelösten Bildschirmen fördern Serifen die Leserlichkeit nicht mehr, ja sie können sie sogar erschweren, besonders für Menschen mit Sehbehinderungen. Deren Lesegeräte kommen schneller klar mit schnörkellosen Lettern, weshalb das Büro für Diversität und Inklusion im US-Außenministerium dem Chef einen anderen Font empfahl.

Die Wahl ist nun auf Calibri gefallen, die aktuelle Standardschrift in den Textverarbeitungsprogrammen von Microsoft. Ein Sakrileg sei das, befand ein US-Diplomat in Asien, dessen Beschwerde den Weg in die Washington Post fand. Ein anderer meinte, er hasse Serifen, aber für Calibri schlage sein Herz ganz bestimmt auch nicht.

Damit ist er nicht allein: Microsoft hat im vergangenen Jahr entschieden, Calibri in den Ruhestand zu schicken, was selbst ihr Gestalter Lucas de Groot als "Erleichterung" bezeichnete. Niemand habe die Schrift gehasst, war das Netteste, was einem Microsoft-Manager dazu einfiel, und selbst das war falsch.

Im United States Department of State hingegen muss Calibri noch lange nicht befürchten, ausrangiert zu werden. Das ist dem Außenministerium wie so vielen US-Behörden noch nicht einmal mit seinen Tausenden Faxgeräten gelungen. Die stehen dort bereits seit mehr als 60 Jahren.

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