Süddeutsche Zeitung

Bilanz: Merkel-Besuch in den USA:Mehr deutsches Engagement, bitte!

Freiheitsmedaille und ein Staatsdinner im Weißen Haus: Bei der Visite von Angela Merkel in den USA hat alles gestimmt. Doch hinter Obamas VIP-Behandlung für die Kanzlerin steht nicht nur Bündnispflege: Deutschland soll mehr Soldaten an internationale Brennpunkte schicken und mit viel Geld die demokratische Entwicklung in der arabischen Welt fördern.

Reymer Klüver, Washington

Die Worte waren nobel, die Gesten freundschaftlich, die Gäste hochgestimmt. Es hat alles gepasst bei Angela Merkels Visite in Washington. Zwar war es ihr mittlerweile schon zehntes persönliches Treffen mit US-Präsident Barack Obama, geadelt wurde dieser Besuch aber durch den Umstand, dass er ihr erstes offizielles State Dinner war, ein Staatsbankett im Weißen Haus. Diese Ehre wurde zuletzt Helmut Kohl zuteil.

Obama ruft Merkel beim Vornamen. So etwas machen Amerikaner gerne, wenn sie Förmlichkeit vermeiden wollen. Auch die Kanzlerin hat sich angewöhnt, Amerikas Vormann den "lieben Barack" zu nennen. Doch das bedeutet nicht viel; das gehört heute sozusagen zum guten Ton. Die beiden verstehen sich, sicherlich, auf ihre Weise: Gefühl zu zeigen oder auch nur vorzuspielen aber ist ihre Sache eigentlich nicht; Nüchternheit in Umgang und Sprache ist ihnen gemeinsam.

Und so ist die nüchterne Frage nur allzu berechtigt, was sich die Amerikaner von all dem pomp and circumstance versprechen, mit dem sie Angela Merkel umschmeichelt haben. Von der Begrüßung der Kanzlerin mit militärischen Ehren (inklusive 19 Schuss Salut). Vom Staatsbankett mit dem National Symphony Orchestra (unter Leitung des deutschen Dirigenten Christoph Eschenbach) zur Abendunterhaltung im Weißen Haus. Schließlich von der Freiheitsmedaille, dem höchsten zivilen US-Orden, für eine Politikerin, die zwar nicht unangenehm aufgefallen, im transatlantischen Verhältnis in den vergangenen Jahren aber auch nicht sonderlich in Erscheinung getreten ist.

Mehr als nur Bündnispflege

Eine Antwort liegt auf der Hand: Es geht, simpel gesagt, um Bündnispflege. Frankreichs Sarkozy war im Januar da. Mit Britanniens Premier Cameron wurden die special relationship, die traditionell besonders engen Beziehungen zwischen beiden Nationen, erst vor ein paar Tagen bei einer Staatsvisite in London beschworen. Da war der dritte Hauptpartner Amerikas in Europa an der Reihe. Das ist die einfache Erklärung.

Doch dürfte noch ein wenig mehr hinter den amerikanischen Avancen stecken. Und ein bisschen davon war schon am Dienstag im prächtigen East Room des Weißen Hauses zu hören, wo Merkel und Obama eingerahmt von den Ölgemälden von US-Präsident George Washington und seiner Frau Martha, der ersten First Lady, zur Pressekonferenz gebeten hatten.

Da verkündete Merkel, dass sich Deutschland nach der Vertreibung Muammar al-Gaddafis (was die Nato-Freunde erledigen sollen) besonders um den Wiederaufbau und die Herstellung geordneter staatlicher Strukturen in Libyen bemühen werde. Das war die Ankündigung sozusagen eines "Aufbau Süd": einer deutschen Sonderleistung in Norden Afrikas.

Merkel zog sogar einen Vergleich zum Marshallplan. Man dürfte also nicht sehr falsch liegen, wenn hinter der VIP-Behandlung für Deutschlands Kanzlerin die vielleicht nicht sonderlich subtile Mahnung steht, dass Washington eigentlich mehr erwartet von Berlin: mehr außen- und sicherheitspolitisches Engagement. Mehr Präsenz Deutschlands an internationalen Brennpunkten. Mehr im Norden Afrikas. Mehr wohl überhaupt im Nahen Osten. Mehr auch in Europa. Das dürfte die Botschaft des Empfangs für die Kanzlerin sein. Mit dem bisherigen Engagement wird es nicht getan sein.

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