Bilanz des Papst-Besuches:Er kam, sprach und enttäuschte

Vergesst Gott nicht! Mit dieser Botschaft ist Benedikt XVI. vier Tage durch Deutschland gereist. Als Gelehrter hat er dabei überzeugt - als Papst jedoch enttäuscht. Nicht nur die Protestanten, sondern vor allem die Anhänger seiner Konfession. Der Besuch wird die Gräben in der katholischen Kirche des Landes vertiefen.

Matthias Drobinski

Die Sonne schien über dem Besuch von Papst Benedikt XVI., die Gottesdienste mit dem Pontifex waren ergreifend, zu ihnen kamen 300.000 Gläubige, mehr als erwartet. Und doch ist dieser dritte Papst-Besuch in Deutschland alles in allem eine Enttäuschung.

Im Bundestag hat Joseph Ratzinger, der Gelehrte, klug geredet und jene beschämt, die ihm nicht zuhören wollten. Als Papst Benedikt jedoch hat er die evangelischen Christen, vor allem aber viele Katholiken brüskiert. Er hat ihnen vorgeworfen, glaubensschwach und strukturverfettet zu sein; die Bemühungen der deutschen Bischöfe, mit den Gläubigen in einen Dialog zu kommen, hat er nicht erwähnt. Der Besuch wird die Gräben in der katholischen Kirche des Landes eher vertiefen. In England hat der Papst die Skepsis ihm gegenüber in Begeisterung verwandeln können - in Deutschland nicht.

Vergesst Gott nicht! Mit dieser Botschaft ist der 84-jährige Papst durch Deutschland gereist, und man spürte in den eindringlichen Passagen seiner Reden, wie sehr diese Sorge Benedikt umtreibt. Der Gottesglaube droht verlorenzugehen, die Anerkennung einer Macht, die über dem Innerweltlich-Menschlichen steht. Und damit drohen für ihn auch die unverkäuflichen Grundsätze in Recht und Politik verlorenzugehen. Das war der rote Faden dieser Reise, die auch vermächtnishafte Züge trug.

Man darf einem Papst nicht vorwerfen, wenn er an Gott erinnert und daran, dass der Glaube in einer modernen Gesellschaft immer ein Skandal ist. Man sollte dies auch nicht einfach als etwas abtun, was ein Papst "halt so sagen" muss. Im Zeitalter der Vermarktung des gesamten Lebens droht ja tatsächlich auch die Würde der Person, der Schutz der Schwachen, die Freiheit der Andersdenkenden zur Ware zu werden.

Im Bundestag in Berlin hat er deshalb für ein neues Verständnis des traditionellen katholischen Naturrechts geworben: Der demokratische Diskurs hat dort seine Grenzen, wo es um Wert und Würde des Menschen geht, die an keinen Zeitgeist und keine Augenblicksmehrheit verkauft werden können.

Joseph Ratzinger, der Skeptiker der Moderne, ist hier verlustsensibel. Er spürt, dass es Menschen nicht guttut, wenn sie jeden Tag die Maßstäbe ihres Lebens neu finden müssen, wenn an die Stelle der Verlässlichkeit die totale Flexibilität tritt, der Ellenbogen wichtiger wird als das Herz. Am Samstagabend, bei der Vigil, hat er das den Jugendlichen anrührend ans Herz gelegt.

Eine pessimistische Weltsicht

Vergesst Gott nicht - das heißt für den Papst aber auch: Um der Wahrheit willen darf es keine Änderung der katholischen Lehre geben, nicht, wenn es um eine mögliche Annäherung der Kirchen geht, nicht, wenn es um die Reformwünsche vieler Katholiken geht. Diese verlustängstliche Seite des Papstes hat sich umso stärker gezeigt, je länger die Pilgerfahrt dauerte. Der Verlust des festen Glaubens führt in Egoismus und Relativismus, der Relativismus in den Abgrund. Diese Denkfigur war dem Papst in diesen vier Tagen so nahe wie sein allgegenwärtiger Sekretär Georg Gänswein.

Papst Benedikt XVI. besucht Deutschland

Papst Benedikt XVI. enttäuschte während seines Deutschland-Besuches viele.

(Foto: dpa)

Vergisst eine Gesellschaft Gott, ist es nicht mehr weit bis zum Konzentrationslager, hat er dem Zentralrat der Juden gesagt. Geht dem Menschen der Glaube verloren, will er bald nur noch sich selbst verwirklichen, sagte er den Pilgern in Etzelsbach. Der Relativismus habe alle Lebensbereiche durchdrungen, klagte er vor den Laienkatholiken - und dass sie kirchliche Routiniers seien, die zu wenig dagegen täten.

Es ist eine pessimistische Weltsicht, die Benedikt den Gläubigen mit auf den Weg gegeben hat. Wer diese Weltsicht teilt, kann letztlich nicht glauben, dass es auch säkulare Begründungen der Menschenwürde gibt, dass evangelische Christen nicht den Glauben verdünnen, dass Katholiken nicht die Gottesfrage vergessen haben, wenn sie Reformen in ihrer Kirche wünschen. Und dass es eigentlich ein Geschenk Gottes ist, wenn ein Mensch sich selber verwirklichen darf, wenn er zu seiner Wirklichkeit findet. Wer glaubt, hat Zukunft, unter diesem Leitwort stand des Papstes Reise. Aber welche Zukunft kann ein Glaube haben, wenn er so kleingläubig daherkommt?

Das Kleingläubige, aus dem immer wieder die alten Konflikte Joseph Ratzingers mit den Katholiken in Deutschland durchkamen, hat verdunkelt, was Benedikt tatsächlich zu sagen hatte. Ja, die katholische Kirche wird sich in Deutschland schon allein deshalb entweltlichen müssen, weil ihre weltliche Gestalt schwächer werden wird, weil engagierte Christen zur Minderheit werden. Wenn sie nur auf Strukturen starrt, wird sie belanglos werden.

Doch zu sagen: Glaubt nur fest an das, was so von Rom kommt, dann braucht ihr keine Reformdebatte und keinen Dialog - das nimmt die realen Probleme einer Kirche nicht ernst, der im vergangenen Jahr die Mitglieder abhanden gekommen sind wie selten, die darum ringt, wie sie einen Weg zwischen Tradition und Erneuerung finden kann.

Als der weise Salomon König wurde, da hat er Gott gebeten: "Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz." Benedikt hat die Geschichte an den Anfang seiner Bundestagsrede gestellt. Und doch hat Gottes Knecht aus Rom auf der Reise durch Deutschland manches überhört.

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