Österreichs Übergangskanzlerin:Die wertkonservative Pionierin

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Auch für Bierlein kam ihre Ernennung zur Übergangskanzlerin überraschend. (Foto: Getty Images)

Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein soll sowohl ÖVP als auch FPÖ nahestehen. Die Juristin äußert sich aber durchaus kritisch.

Von Leila Al-Serori

Ein wenig überwältigt wirkte Brigitte Bierlein am Donnerstag, als sie vom österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen in den pompösen Räumlichkeiten der Wiener Hofburg als nächste Kanzlerin vorgestellt wurde. Dieser Eindruck passt zu den Attributen, die Menschen wählen, die Bierlein gut kennen: Besonnen sei sie, konsensorientiert, keine Person, die das Rampenlicht suche. Genau dieses Licht aber wird in den nächsten Wochen und Monaten immer wieder auf die 69-jährige Wienerin scheinen.

Die Präsidentin des österreichischen Verfassungsgerichtshofs soll bis zur Neuwahl im September die Regierungsgeschäfte führen. Nur für den Übergang also, es ist dennoch historisch: Bierlein ist in Österreich die erste Frau in diesem Amt. Dass sie im Moment ihrer Vorstellung ausgerechnet im Maria-Theresien-Zimmer stand, war zwar Zufall, aber einer, der nicht besser passen könnte. Die Habsburgerin gilt als bedeutsamste Regentin in der Geschichte des Landes.

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Erstmals eine Frau und dann noch eine, die als unaufgeregte Vermittlerin wirken könnte. Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein dürfte genau die Übergangskanzlerin sein, die Österreich jetzt braucht.

Kommentar von Leila Al-Serori

Brigitte Bierlein war schon oft Pionierin. Das würdigte an diesem historischen Donnerstag auch der Bundespräsident: Stets die Erste sei sie, sagte er, und auch jetzt schon wieder die Erste. Bierlein, 1949 in Wien geboren, wollte eigentlich Kunst studieren, entschied sich dann aber doch für das Recht. Zielstrebig arbeitete sie sich nach oben, zuerst in die Staatsanwaltschaft Wien, 1990 folgte der Aufstieg zur Generalanwältin beim Obersten Gerichtshof - auch hier war sie die erste Frau in dieser Funktion. Ihre größten Karrieresprünge machte sie unter ÖVP/FPÖ-Regierungen. 2003 wurde sie erste Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes, 2018 die erste Präsidentin. Dass sie als Frau in Männerdomänen reüssierte, hebt sie aber ungern hervor. "Ich bin grundsätzlich keine Freundin der Quote", sagte Bierlein einmal der Tageszeitung Der Standard, "weil Frauen das eigentlich nicht mehr brauchen sollten."

Die parteifreie Juristin gilt als wertkonservativ, soll sowohl ÖVP als auch FPÖ nahestehen. Zu den Maßnahmen der letzten Regierung äußerte sie sich aber durchaus kritisch: Die Präventivhaftpläne des ehemaligen Innenministers Herbert Kickl lehnte sie ab, das Kopftuchverbot nannte sie "problematisch". Unbestritten bei allen Parteien sind ihre fachliche Kompetenz und ihr besonnener Pragmatismus - an ihrer Ernennung zur Übergangskanzlerin hat deshalb auch niemand etwas öffentlich auszusetzen.

Wie pragmatisch sie tickt, zeigt sich an einer Episode aus dem Jahr 2004. Die Richterin wurde in Wien spätabends überfallen, doch ließ sie ihre Handtasche so lange nicht los, bis der Räuber unverrichteter Dinge das Weite suchte. Bierlein musste anschließend im Krankenhaus behandelt werden. Ihren gefährlichen Einsatz für eine Handtasche erklärte sie später so: Sie habe sich die "Rennereien" für eine neue Kreditkarte ersparen wollen.

Ihre Beharrlichkeit und Kompetenz als "höchste Hüterin der Verfassung" dürften sie auch für Van der Bellen zur besten Wahl gemacht haben, um nach dem turbulenten Ende der Regierung von Kanzler Kurz in Österreich Ruhe einkehren zu lassen. "Das ist jetzt für Sie sicher überraschend", sagte Bierlein bei ihrer Vorstellung, "für mich ist es das auch." Der Anruf aus der Präsidentschaftskanzlei sei tags zuvor gekommen. "Richter sind ja selten um Worte verlegen, aber ich muss gestehen, das war für mich zu diesem Zeitpunkt doch ein wenig anders", erklärte Bierlein sichtlich bewegt. Ein paar Stunden nahm sie sich Bedenkzeit, dann war die Entscheidung gefallen.

Für ihre neue Rolle hat Brigitte Bierlein die Amtstracht - den schwarzen Talar mit Kragen aus violettem Samt und Hermelin -, in der sie die Österreicher kennen, abgelegt und gegen einen schwarzen Hosenanzug getauscht. Lange hätte sie ihren Talar sowieso nicht mehr tragen dürfen: Am 25. Juni wird Bierlein 70 Jahre alt. Damit erreicht sie das Alterslimit für das Höchstrichteramt.

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© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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