Süddeutsche Zeitung

US-Präsident:So setzt Biden den Ton für seine Präsidentschaft

Mehr Diversität, Zugeständnisse an die Linken: Joe Biden versucht alles, um der Regierung ein modernes Äußeres zu geben. Dabei ist er die Personifizierung der alten Washingtoner Machtelite.

Von Hubert Wetzel, Washington

Vielleicht ist es etwas unfair, nach zweieinhalb Tagen schon zu versuchen, Bilanz zu ziehen. Joe Biden wurde erst am Mittwochmittag als neuer US-Präsident vereidigt. Er hatte also bisher nicht allzu viel Zeit, um tatsächlich zu regieren.

Dass Biden in seinen ersten 60 Stunden im Amt trotzdem gut zwei Dutzend Verordnungen, Memoranden und Präsidialerlasse abgearbeitet hat, liegt daran, dass diese in den vergangenen Wochen sorgfältig vorbereitet wurden. Früher kamen US-Präsidenten mit einer Agenda für ihre ersten 100 Tage ins Amt. Inzwischen ist dieser Zeitraum auf die ersten zwei, drei Amtstage geschrumpft, die dann großzügig und werbewirksam als "Day One" zusammengefasst werden.

Und diese Day-One-Agenda dient ausdrücklich dazu, den Ton für die neue Präsidentschaft zu setzen und ihre Ziele und Prioritäten zu umreißen. Insofern kann man aus Bidens ersten Amtstagen durchaus Schlüsse ziehen.

Ein erster Schluss lautet: Joe Biden, 78 Jahre alt und in gewisser Hinsicht die Personifizierung der alten, weißen, männlichen Washingtoner Machtelite, will der US-Regierung ein moderneres Äußeres geben. Im Wahlkampf hatte er ein Kabinett versprochen, "das wie Amerika aussieht". Dieses Versprechen hat er gehalten. Zwar ist er immer noch von vielen weißen Ivy-League-Absolventen umgeben.

Doch der Frauenanteil im Weißen Haus und in den Ministerien ist historisch hoch, ebenso der Anteil von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die nicht weiß sind. Der Senat bestätigte am Freitag Lloyd Austin als ersten schwarzen Verteidigungsminister der USA. Zudem hat Biden die erste Innenministerin indianischer Abstammung nominiert, die erste Finanzministerin sowie drei Minister mit lateinamerikanischen Wurzeln.

Hinzu kommt Bidens Vizepräsidentin: Kamala Harris, die Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters, ist die erste Frau, die erste Schwarze und die erste asiatischstämmige Amerikanerin in diesem Amt. Mehr Vielfalt ist eigentlich kaum möglich.

Allerdings sagen die Hautfarbe und das Geschlecht von Ministern nicht automatisch etwas darüber aus, welche Art von Politik sie machen und wie viel Einfluss sie in der Regierung tatsächlich haben werden. Insofern wird es zum Beispiel interessant sein zu sehen, wie sich das Verhältnis zwischen Biden und Harris entwickelt. Bisher hat die Vizepräsidentin sich weitgehend im Hintergrund gehalten. Biden hat ihr keine großen, wichtigen Portfolios übertragen. Für das Thema Klimaschutz holte er seinen alten Freund John Kerry als "Klimazar" in die Regierung. Der Kampf gegen die Corona-Pandemie wird von dem Infektiologen Anthony Fauci geleitet.

Harris' wichtigste Aufgabe in den kommenden Monaten wird sein, im Senat die 51. Stimme für die Demokraten abzugeben. In der Kongresskammer herrscht ein Stimmenpatt, Demokraten und Republikaner halten jeweils 50 der 100 Sitze. In dieser Lage entscheidet die Vizepräsidentin.

Harris wird daher sicher eine Rolle dabei spielen, Bidens politische Agenda in Gesetze zu gießen und durch den Kongress zu bringen. Aber wie sehr sich der Präsident bei den Verhandlungen mit dem Senat auf seine Vizepräsidentin verlassen wird, ist offen. Im Wahlkampf hatte Biden stets betont, dass er als altgedienter, erfahrener Ex-Senator besonders geeignet sei, im Kongress Mehrheiten zu organisieren. Es ist also denkbar, dass er das als seine eigene Aufgabe sieht.

Präsident Biden kann die Realität nicht ignorieren

Eine weitere Erkenntnis aus Bidens ersten Amtstagen ist, dass er bereit ist, der Parteilinken wesentliche Zugeständnisse zu machen. Ein guter Teil seiner ersten Erlasse zielte darauf, Forderungen des linksliberalen Flügels der Demokraten zu erfüllen - von der Rückkehr ins Pariser Klimaschutzabkommen über die Stornierung von Tilgungszahlungen für staatliche Studienkredite bis hin zu einer ganzen Reihe von Lockerungen in der Einwanderungspolitik. Das erste Gesetzespaket, das Biden dem Kongress zugeleitet hat, sieht vor, Millionen illegaler Immigranten einen Weg zur US-Staatsbürgerschaft zu eröffnen. Damit begibt sich Biden weit auf politisch linkes Terrain.

Das mag zum Teil Taktik sein: Biden ist eigentlich ein politischer Zentrist. Die Parteilinke war nie begeistert von seiner Kandidatur und hat ihrer Wählerklientel versprochen, Druck auf den Präsidenten zu machen. Dadurch, dass er gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft auf diesen Flügel zugeht, nimmt Biden etwas Schärfe aus diesem Konflikt. Zumal er den Linken keine wirklich gewichtigen Posten im Kabinett gegeben hat, etwa das Finanz- oder Arbeitsministerium.

Andererseits erkennt Biden mit diesem anfänglichen Linkskurs aber auch schlicht die Realität an. Die gesamte Demokratische Partei ist in den vergangenen Jahren nach links gerückt. Das kann der Präsident nicht ignorieren.

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