Süddeutsche Zeitung

Joe Bidens Kabinett:Darum ist die neue Regierung der USA historisch

Der neue US-Präsident hat ein Regierungsteam zusammengestellt, das Amerikas Vielfalt repräsentieren soll. Fünf Besonderheiten zeichnen es aus.

Von Vincenzo Capodici

Pandemie und Wirtschaftskrise, gespaltene Gesellschaft und Klimawandel, Konflikte mit China und Russland: Die neue US-Regierung steht vor riesigen Herausforderungen. Sie versucht, diese zu bewältigen, mit einem Team, das das Gegenteil der abtretenden Regierung von Donald Trump ist. Eine Übersicht:

1. Mehr Diversität, mehr Frauen

Joe Biden hatte im Wahlkampf ein Kabinett versprochen, "das aussieht wie Amerika". Immer wieder machte er dieses Versprechen. "Männer, Frauen, Homosexuelle, Heterosexuelle, Mitte, die ganze Bandbreite, Schwarze, Weiße, Asiaten" - sie alle sollten ihre Perspektiven in der neuen US-Regierung einbringen können. Tatsächlich hat Biden in den letzten Wochen ein Regierungsteam zusammengestellt, das im Zeichen der Diversität steht und das sich punkto ethnischer Zugehörigkeit und Migrationshintergrund von der Vorgängerregierung klar absetzt. Und erstmals ist auch die indigene Bevölkerung im Kabinett der USA vertreten.

Im historischen Vergleich sind Frauen in der Biden-Regierung am stärksten vertreten. Sie machen ein Drittel des Kabinetts aus. Mehrere Ministerien sind erstmals mit Frauen an der Spitze besetzt. Beispielsweise ist Janet Yellen, frühere Chefin der US-Zentralbank, die erste Finanzministerin. Mit Jennifer Granholm, Ex-Gouverneurin von Michigan, führt erstmals eine Frau das Energieministerium. Die bisherige Kongressabgeordnete Deb Haaland ist nicht nur die erste Vertreterin der "Native Americans", sondern auch die erste Innenministerin. Und nicht zuletzt: Kamala Harris schaffte es als erste Frau und als erste Nicht-Weiße in das Amt des Vizepräsidenten.

Unter den Regierungsleuten, die zwar nicht Minister sind, aber Kabinettsrang haben, findet sich Katherina Tai: Die Handelsbeauftragte des Präsidenten ist eine Amerikanerin chinesischer Herkunft. Das ist eine wichtige Personalie angesichts der andauernden Handelskonflikte zwischen den USA und China.

2. Schwarze und Latinos in Spitzenpositionen

Das Biden-Kabinett zeichnet sich durch weitere historische Premieren aus. Der pensionierte 4-Stern-General Lloyd Austin zum Beispiel ist der erste Afroamerikaner, der das Verteidigungsministerium übernimmt. Das Heimatschutzministerium hat mit Alejandro Mayorkas, als Flüchtlingskind aus Kuba in die USA gekommen, den ersten Latino an seiner Spitze. Und der letztjährige Präsidentschaftskandidat Pete Buttigieg ist der erste offen homosexuelle Minister der USA, er wird das Verkehrsministerium führen.

3. Wissenschaft statt Ideologie

Eine weitere Besonderheit der Biden-Regierung ist der starke Fokus auf die Wissenschaft. Der Biologe und Genetiker Eric Lander, bisher Direktor des Broad-Instituts von MIT und Harvard-Universität, ist der oberste Wissenschaftsberater des Präsidenten und in dieser Funktion der Erste, der einen Kabinettsrang verliehen bekommt. Laut Biden sollen Lander und sein Team von "weltberühmten Wissenschaftlern" dafür sorgen, dass "alles, was wir tun, auf Wissenschaft, Fakten und der Wahrheit basiert".

Dieses Bekenntnis zu Wissenschaft und Fakten ist eine weitere markante Abkehr von der Trump-Regierung, die gerade bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie sehr große Mühe mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Empfehlungen bekundet hat. Der wohl Bekannteste im Wissenschaftsteam ist der Immunologe und Seuchenspezialist Anthony Fauci, der seit Ronald Reagan allen Präsidenten gedient hat.

Auch in der Umwelt- und Klimapolitik wird die neue US-Regierung der Wissenschaft folgen. Das zeigen etwa die Personalbesetzungen beim Energieministerium und bei der Umweltschutzbehörde EPA. Mit der Ernennung des früheren Außenministers John Kerry (2013-2017) zum Klima-Sonderbeauftragten setzte der künftige US-Präsident ein klares Zeichen im Kampf gegen den Klimawandel. Unmittelbar nach Amtsantritt will Biden die USA zurückführen zum Pariser Klimaschutzabkommen 2015.

4. Obama-Veteranen

Die Rückkehr zur multilateralen Zusammenarbeit und das Bekenntnis zu den traditionellen Verbündeten sind ein zentrales Ziel der neuen US-Regierung. Dabei setzt Biden auf alte Weggefährten und Bekannte aus den acht Jahren der Obama-Präsidentschaft. Ein Beispiel dafür ist der neue Außenminister Antony Blinken, der als stellvertretender Sicherheitsberater (2013-2015) und als Vizeaußenminister (2015-2017) gedient hatte. Überhaupt, das State Departement erlebt aufgrund der bisherigen Personalentscheidungen eine Neuauflage der Obama-Jahre. Und beim ausländischen Geheimdienst CIA soll mit William Burns ein ehemaliger Vizeaußenminister (2011-2014) die Führung übernehmen.

Beim sehr wichtigen Finanzministerium steht mit Janet Yellen eine Frau an der Spitze, die Barack Obama 2010 als Vizevorsitzende der US-Zentralbank und 2014 als FED-Chefin nominiert hatte. Yellen vertritt das keynesianische Credo, wonach der Staat bei Wirtschaftskrisen eine aktive Rolle spielen muss. Als Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsberater des Präsidenten ist Cecilia Rouse vorgesehen. Die Princeton-Professorin hatte schon in der ersten Obama-Amtszeit diesem Gremium angehört.

5. Moderate Demokraten

Biden war im Wahlkampf als moderater Demokrat aufgetreten. Seinen Wahlsieg gegen Trump verdankte er aber auch dem linken Flügel seiner Partei. Dennoch sind die Progressiven nicht berücksichtigt worden in der Regierungsbildung. Deren Galionsfiguren - die Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren - haben keinen Platz bekommen im neuen Kabinett. Selbst bei den Demokraten sind sie keine mehrheitsfähigen Politiker.

Das Regierungsteam von Biden/Harris umfasst 15 Minister und zehn weitere Amtsträger mit Kabinettsrang. Mit Ausnahme von drei Amtsträgern, etwa dem Klima-Sonderbeauftragten, müssen sämtliche Minister und ihre anderen Regierungskollegen noch vom US-Senat bestätigt werden.

Dieser Text ist zuerst im Tages-Anzeiger erschienen.

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