Ukraine-Krieg:Biden auf Ermutigungstour durch Europa

Ukraine-Krieg: Die dritte Reise führt ihn wieder nach Europa: Joe Biden im Juni vergangenen Jahres in Brüssel mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Diese Woche trifft man sich unter ganz anderen Vorzeichen wieder.

Die dritte Reise führt ihn wieder nach Europa: Joe Biden im Juni vergangenen Jahres in Brüssel mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Diese Woche trifft man sich unter ganz anderen Vorzeichen wieder.

(Foto: Francisco Seco/dpa)

Der Konflikt mit Russland ist bitter und kaum berechenbar. Der US-Präsident markiert darum mit mehreren Besuchen symbolträchtig, dass er hinter den Verbündeten jenseits des Atlantiks steht.

Von Fabian Fellmann, Washington

Als Vizepräsident noch ein Weltenbummler, pflegt Joe Biden nun einen sehr zurückhaltenden Umgang mit Reisen, seit er als Präsident im Amt ist. Das ist nicht nur der Covid-Pandemie geschuldet. Biden zeigte mit seiner Präsenz in Washington der Wählerschaft auch, worauf er den Fokus seiner Präsidentschaft zu legen gedachte: auf die Vereinigten Staaten.

Nicht einmal die Nachbarn Kanada und Mexiko hat er bisher besucht. Nun verlässt Biden die USA für seine erst dritte Reise als Präsident: erneut Richtung Europa, wie schon bei seiner ersten und zweiten Reise im Frühling und im Herbst vergangenen Jahres.

Es ist ein symbolträchtiger Besuch in einem schwierigen Moment, zu dem Biden in Brüssel erscheint. Der Krieg in der Ukraine zieht sich in die Länge, die Zahl der Kriegsopfer steigt stündlich, das Flehen von Präsident Wolodimir Selenskij hat Politiker und Öffentlichkeit aufgerüttelt. Die Ohnmacht bei den Verantwortungsträgern steigt: Wie nur lässt sich das Massaker an der ukrainischen Zivilbevölkerung rasch beenden?

Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Was soll der Westen mehr tun, wenn doch Sanktionen bereits die russische Wirtschaft aushöhlen, wenn die Ukraine doch bereits Waffen im Wert von mehreren Milliarden Dollar erhalten hat? Wenn eine Flugverbotszone nicht mehrheitsfähig ist, weil ein Krieg mit der Atommacht Russland drohen würde? Ein Dritter Weltkrieg, den Biden und die Nato um jeden Preis vermeiden wollen?

Er wird bei einer Sitzung des Europäischen Rats dabei sein, ein geschickter Schachzug

Der US-Präsident will den Alliierten nun bei einem persönlichen Treffen Mut machen. Er bemüht sich, alle anderen demonstrativ stets auf dem Laufenden zu halten und in alle Entscheidungen einzubeziehen. Am Montagmorgen besprach er die Woche mit Präsident Emmanuel Macron, Premierminister Boris Johnson, Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Mario Draghi. Biden wird in Brüssel auch an einer Sitzung des Europäischen Rats teilnehmen - ein geschickter Schachzug, mit dem er den Mitgliedsländern zeigt, dass er die Machtverhältnisse in der Europäischen Union begriffen hat.

Als eines der wichtigsten Ziele der Reise nannte Bidens Sprecherin Jen Psaki am Montag: "Einheit ist der Schlüssel zu unserem Erfolg." Die enge Absprache mag die Allianz manchmal weniger entscheidungsfreudig erscheinen lassen, als sie es sein könnte. Doch sie erhöht das gegenseitige Vertrauen und damit die Loyalität. Die wird weiter getestet, wenn der Krieg sich hinzieht - und langfristig auch durch die Ansprüche Chinas auf Taiwan.

Ukraine-Krieg: "Einheit ist der Schlüssel zu unserem Erfolg:" Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Montag in Washington.

"Einheit ist der Schlüssel zu unserem Erfolg:" Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Montag in Washington.

(Foto: LEAH MILLIS/REUTERS)

Nun wolle Biden mit den Europäern die nächsten Schritte besprechen, um Russlands Aggressionen in der Ukraine zu begegnen, sagte Psaki. Sicherlich wird Biden die Mitgliedsländer auffordern, noch mehr in ihre eigene Sicherheit zu investieren. Die USA versprechen, Europa mehr Flüssiggas zu liefern, um die Abhängigkeit von Russland zu senken.

Man erwägt einen brisanten Raketendeal - russische Systeme aus der Türkei für Kiew

Konkret stehen auch zusätzliche Waffenlieferungen an Kiew zur Diskussion. Das Weiße Haus erwägt, der Türkei zu helfen, russische S-400-Raketen in die Ukraine zu schicken. Dabei ist Washington bereit, beide Augen zuzudrücken: Als die Türkei die russischen Raketen beschaffte, straften die USA das alliierte Land noch mit Sanktionen für die Einkaufstour bei der Feindesmacht. S300-Raketen könnten außerdem Bulgarien und die Slowakei liefern, sofern Biden einen Ersatz zur Verfügung stellt.

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Diskutiert wird ferner, mehr Nato-Truppen in Osteuropa zu positionieren. Die USA haben bereits aufgestockt: Erstmals seit 2005 sind mehr als 100 000 US-Soldaten in Europa stationiert. Mit 38 500 beherbergt Deutschland den Hauptteil. In Polen verstärken inzwischen 10 000 US-Soldaten die Abwehrstellungen der Nato, in Rumänien 2400.

Der Besuch Bidens in Polen ist eine besondere Rückenstärkung für das doppelt betroffene Land: Es steht auf Wladimir Putins großrussischer Wunschliste. Und die Polen haben mehr als 2 Millionen der 3,5 Millionen Menschen aufgenommen, die vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten mussten. Noch vor wenigen Monaten konnte sich Washington nicht anfreunden mit der rechtsnationalen Regierung in Polen. Angesichts der Bedrohung durch Russland sind die demokratiepolitischen Bedenken vergeben und vergessen. Nachdem Vizepräsidentin Kamala Harris erst vor wenigen Tagen in Warschau war, wird nun Biden persönlich Präsident Andrzej Duda ebenfalls seine Aufwartung machen.

Die Nato-Treue in den USA steigt wieder

Biden wird vor allem Geld versprechen: Der US-Kongress hat vier Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe bereitgestellt. Viel mehr haben die USA nicht zu bieten. Wohl prüfen sie ein Schnellverfahren für ukrainische Asylanträge. Doch das zuständige Ministerium für Homeland Security ist noch stark mit Flüchtlingen aus Afghanistan ausgelastet. Zuerst sollten die Nachbarländer Flüchtlinge aufnehmen, findet das Weiße Haus.

Biden schickt aber auch Signale nach Moskau mit dem Besuch in Polen: Wladimir Putin soll gar nicht erst daran denken, nach der Ukraine ein Nato-Land anzugreifen. "Wir werden jeden Zentimeter Nato-Territorium verteidigen", sagt Biden. Er kann den Europäern guten Gewissens den vollen Rückhalt der Amerikaner versprechen.

Mehr als drei Viertel der Bevölkerung befürworten eine stärkere Militärpräsenz in Nato-Ländern nahe der Ukraine, wie eine aktuelle Umfrage von Pew Research zeigt. Hatte sich der Putinismus in der Amtszeit von Donald Trump noch steigender Beliebtheit erfreut, ist er inzwischen nur noch ein Randphänomen. Die transatlantische Treue der Amerikaner wurde laut Pew durch den Krieg neu belebt. Die Hälfte betrachtet die Invasion als eine Bedrohung nationaler Interessen, sowohl unter Republikanern als auch unter Demokraten. Das sind rund doppelt so viele als vor Kriegsbeginn.

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