Die Anfrage kam überraschend. Ende vergangener Woche meldete sich das Weiße Haus in Berlin. Der Präsident gehe noch einmal auf Reisen und würde auch der deutschen Hauptstadt einen Besuch abstatten. Ob das gelegen komme? Kommt es.
Mit der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden geht für Bundeskanzler Olaf Scholz eine der nicht eben vielen Gewissheiten in einer Zeit internationaler Turbulenzen zu Ende. Auf Biden glaubte Scholz sich verlassen zu können, auch wenn es schwierig wurde. Wenn Scholz davon sprach, seine Ukraine-Politik sei eng abgestimmt mit den Verbündeten, meinte er in erster Linie Biden. Umso erstaunlicher ist, dass Biden im Unterschied zu anderen europäischen Hauptstädten wie Warschau, das er zweimal besucht hat, in seiner Amtszeit noch kein einziges Mal in Berlin war – auch nicht im Juni 2022, als er am G-7-Gipfel in Elmau teilnahm. Am 11. und 12. Oktober soll er das nach Informationen der Süddeutschen Zeitung nun nachholen und, wie das US-Portal The Hill zuerst berichtet hat, auf dem Weg nach Afrika in Berlin Station machen.
Scholz hat einen letzten großen Deal mit Biden
Die Vorbereitungen für den noch nicht offiziell bestätigten Besuch beginnen gerade erst. Aber schon jetzt ist klar, dass Kanzler Scholz ebenso wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bemüht sein dürfte, dem Gast einen betont herzlichen Empfang zu bereiten. Der Termin liegt wenige Wochen vor der Präsidentenwahl in den USA, die unabhängig vom Ausgang eine Zäsur markieren wird. Mit Biden tritt ein Politiker ab, der noch zur Generation der klassischen Transatlantiker gehört, für die gute Beziehungen zu Europa ein Herzensanliegen darstellen. Der an Feindseligkeit grenzende Blick von Donald Trump speziell auf Deutschland ist bekannt. Doch auch mit einer US-Präsidentin Kamala Harris dürften sich die Prioritäten verändern und die schon vor Jahren begonnene Hinwendung der USA zu Asien beschleunigen.
Umso bedeutsamer ist für Scholz sein gewissermaßen letzter großer Deal mit Biden. Während des Nato-Gipfels im Juli hatten die US-Regierung und die Bundesregierung die zeitweilige Stationierung weitreichender amerikanischer Waffensysteme in Deutschland von 2026 an verkündet. SM-6-Raketen und Tomahawk-Marschflugkörper sollen nach der Vorstellung von Scholz eine Sicherheitslücke schließen, die sich aus der Bedrohung durch die in Kaliningrad stationierten, atomar bestückten russischen Iskander-Raketen ergibt.
Ein so zentrales wie heikles Thema: Waffen für die Ukraine
In ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie hat die Bundesregierung bereits 2023 die Absicht verkündet, „die Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie abstandsfähigen Präzisionswaffen befördern“ zu wollen. Doch das dauert. Bis es so weit ist, sollen US-Waffen helfen. Ungeachtet aller Skepsis auch in der eigenen Partei hält Scholz das für unerlässlich. Für ihn ist dies eine Art Vermächtnis seiner Partnerschaft mit Biden. Allerdings ist ungewiss, wie viel davon übrig bleiben würde unter einem Präsidenten Trump.
Sollte Biden seine Pläne nicht noch ändern, böte der Besuch in Berlin Scholz zumindest noch einmal die Gelegenheit, das Stationierungsvorhaben zu bekräftigen und öffentlich zu verteidigen. Im Mittelpunkt dürfte außerdem ein Thema stehen, das die Beziehung von US-Präsident und Kanzler von Anfang an geprägt hat – der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. In Berlin herrscht eine gewisse Hoffnung, dass Biden bis zur Amtsübergabe am 20. Januar die Zeit nutzt, Wege zum Frieden auszuloten.
In ihrer Haltung ähneln sich Biden und Scholz. Einerseits beteuern beide, die Ukraine so lange unterstützen zu wollen wie nötig. Andererseits betonen Präsident wie Kanzler als oberste Prämisse die Notwendigkeit, eine Eskalation und das Risiko einer militärischen Auseinandersetzung zwischen der Nato und Russland zu vermeiden. Scholz sieht in Biden eine Art Seelenverwandten, der die Gefahr eines dritten Weltkrieges ernst nimmt.
Allerdings war es auch Scholz, der die Partnerschaft auf eine Probe stellte. Anfang 2023 machte er die Lieferung von deutschen Kampfpanzern des Typs Leopard 2 an die Ukraine davon abhängig, dass auch die USA Kampfpanzer liefern. Biden ließ sich darauf ein, doch das Junktim löste in Washington erheblichen Unmut aus. In der aktuellen Waffendiskussion will nun wiederum Scholz nichts mehr von einem Gleichschritt wissen. Falls Bidens Regierung der Ukraine den Einsatz von ATACMS-Raketen aus US-amerikanischer Produktion gegen Ziele tiefer in Russland erlaubt, soll das an Scholz’ Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern nichts ändern.