Süddeutsche Zeitung

Vorwahlen:Biden stoppt Sanders' Vormarsch

Lesezeit: 3 min

Von Alan Cassidy, Washington, und Christian Endt (Grafiken)

In der Politik, sagte einst der britische Premier Harold Wilson, ist eine Woche eine lange Zeit. Selten war dieser Satz wahrer als in diesem Wahlkampf in den USA. Bernie Sanders stand noch vor wenigen Tagen davor, im Kampf um die demokratische Präsidentschaftskandidatur eine Vorentscheidung zu erzwingen: Vieles deutete darauf hin, dass der linke Senator sich am Super Tuesday an der Spitze des demokratischen Bewerberfelds absetzen würde. Dass er dabei so viele Delegierte einsammeln würde, dass er fast nicht mehr einzuholen wäre. Doch passiert ist etwas ganz anderes: ein Comeback von Joe Biden.

Der frühere Vizepräsident hat sich am Dienstag auf eine Weise in das Rennen zurückgekämpft, die nur wenige für möglich gehalten hätten. Er gewann die Vorwahlen in einer Reihe von Bundesstaaten des Südens, wo er erneut von der großen Unterstützung durch die afroamerikanischen Wähler profitierte, die ihm schon zum Sieg in South Carolina verholfen hatten.

60 Prozent der Schwarzen in Alabama, North Carolina, Tennessee und Virginia stimmten laut den Nachwahlbefragungen für ihn. Biden siegte aber auch in mehreren Bundesstaaten im Norden des Landes, wo er zum Teil nicht einen einzigen Wahlkampfauftritt bewältigt hatte: in Minnesota und wahrscheinlich auch in Maine. In Massachusetts gab Bidens Kampagne gerade einmal 11 672 Dollar für seinen Wahlkampf aus und keinen einzigen Dollar für TV-Werbung, während seine Rivalen Millionen investierten. Das ist nach allen Maßstäben bemerkenswert.

Es war also nachvollziehbar, dass Biden schon Mitte des Wahlabends eine Siegesrede hielt. Dass er dabei seine Ehefrau mit seiner Schwester verwechselte, war eher peinlich, und dass er auf der Bühne von zwei Öko-Aktivistinnen bedrängt wurde, war für ihn wohl eher unangenehm. Bleiben wird von dem Abend aber, dass er einen Wendepunkt im demokratischen Wahlkampf markierte: jenen Moment, an dem sich besonders moderate weiße und afroamerikanische Wähler der Partei in überraschender Deutlichkeit hinter ihn stellten. Vor kurzer Zeit hatte es noch so ausgesehen, als sei er politisch schon tot.

Dabei war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar, wie die Vorwahl im wichtigen Bundesstaat Texas ausgehen würde. Je länger der Abend dauerte, desto mehr zeichnete sich ab, dass Biden auch hier mehr Stimmen holen würde als Sanders - noch eine Überraschung, noch ein Triumph. In den Umfragen hatte Sanders auch hier bis vor Kurzem vorne gelegen. Der Linkspolitiker schnitt dafür nach den ersten Hochrechnungen in Kalifornien am besten ab. Dort gibt es mit Abstand die meisten Delegierten zu gewinnen, dort hatte Sanders viel in den Wahlkampf gesteckt, und ein Sieg dort hebt Niederlagen anderswo auf. Die Auszählung der Stimmen kann sich dort allerdings noch tagelang hinziehen.

Das bedeutet, dass auch die Aufteilung der Delegiertenstimmen ungewiss bleibt. Dabei sind diese bei den Vorwahlen die entscheidende Größe: Die Demokraten verteilen Delegierte proportional an alle Kandidaten, die mehr als 15 Prozent der Wählerstimmen in einem Bundesstaat oder in einem bestimmten Wahlkreis holen. Bei einem knappen Ergebnis fällt die Verteilung also gleichmäßiger aus, was sich wiederum auf den weiteren Verlauf des Wahlkampfs auswirkt.

Linke fordern Warren auf, ihre Kandidatur aufzugeben

Klar ist aber: Der vom linken Flügel der Demokraten erhoffte und von den Moderaten befürchtete Durchmarsch von Sanders ist nicht eingetroffen. Stattdessen liegt der Schwung jetzt ganz bei Biden. Die Nachwahlbefragungen zeigen, dass Wähler, die sich erst in letzter Minute für einen Kandidaten entschieden haben, mit großer Mehrheit für den früheren Vizepräsidenten stimmten. Sanders profitierte davon, dass viele Wähler ihre Stimmen schon frühzeitig abgegeben hatten. Besonders in Kalifornien ist die Briefwahl wichtig. Zehntausende Stimmen dürften auf diesem Weg an jene Kandidaten gegangen sein, die ihren Wahlkampf in der Zwischenzeit beendet haben: Pete Buttigieg und Amy Klobuchar. Obschon beide Politiker Biden am Montag zur Wahl empfahlen, waren diese Stimmen für ihn verloren.

Klar ist zudem auch, wer die großen Verlierer des Super Tuesday sind. Mike Bloomberg, der schwerreiche frühere Bürgermeister von New York, hat mehr als eine halbe Milliarde Dollar seines Vermögens in seinen Wahlkampf gesteckt. Der Ertrag ist bescheiden: Er gewann einzig die Vorwahl im US-Außengebiet Amerikanisch-Samoa, das sechs von 3979 Delegierten stellt, und landete in einigen anderen Staaten auf dem dritten Platz. Das ist nicht das, was sich Bloomberg vorgestellt hatte, als er sehr spät noch in das Präsidentschaftsrennen einstieg - im Glauben, dass er der Kandidat sein werde, der die moderaten Kräfte hinter sich schart. Medienberichten zufolge will der 78-Jährige am Mittwoch entscheiden, ob er weiterhin Kandidat bleibt - oder seinen Wahlkampf beendet und Biden unterstützt.

Ein schwerer Rückschlag war der Super Tuesday auch für Elizabeth Warren, die letzte Bewerberin, die sich zumindest noch theoretisch Chancen auf die Präsidentenkandidatur ausrechnen konnte. Die Senatorin aus Massachusetts landete in ihrem Heimatstaat hinter Biden und Sanders auf dem dritten Platz. Auch anderswo schnitt die einstige Mitfavoritin enttäuschend ab. Nach jetzigem Stand hat Warren weniger Delegierte als Pete Buttigieg, der seinen Wahlkampf am Wochenende abgebrochen hatte. Am linken Flügel der Partei, zu dem Warren zählt, mehren sich die Stimmen, die sie auffordern, ihre Kandidatur zugunsten von Sanders aufzugeben.

Alles offen nach dem Super Tuesday also, aber nun wohl mit leichtem Vorteil für Biden. Die nächsten Vorwahlen finden bereits am kommenden Dienstag statt, in Idaho, Michigan, Mississippi, Missouri, North Dakota, Washington State. Doch eine Woche ist in diesem Wahlkampf, wie nun alle wissen, eine lange Zeit.

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