Süddeutsche Zeitung

Genf:Darüber sprechen Biden und Putin

Lesezeit: 4 min

US-Präsident Joe Biden hat Russlands Staatschef Wladimir Putin einen "Killer" genannt. Nun begegnen sich die beiden nach langer Zeit wieder. Das Gesprächsklima dürfte unterkühlt bleiben.

Von Stefan Kornelius und Paul-Anton Krüger, Genf

Die Villa La Grange liegt auf der südöstlichen Seeseite, also links der Fließrichtung oder rive gauche, wie es in Genf heißt. Umgeben von einem bestens gepflegten öffentlichen Park mit einer stattlichen Rosenzucht und einer kleinen Open-Air-Fläche eröffnet sich von der Terrasse der Villa ein spektakulärer Blick über die Stadt und natürlich deren Wahrzeichen, den Jet d'eau, die 140 Meter hoch reichende Fontäne in der Seebucht vor der Häuserkulisse.

Der Park ist seit einer Woche für die Öffentlichkeit gesperrt. Noch bevor die Schweizer Behörden den Ort des Gipfeltreffens bekannt gaben, zogen sie einen Zaun um das Gelände und krönten die Absperrung mit unüberwindbarem Stacheldraht. 3500 Polizisten und Soldaten werden das Gelände bewachen.

Dies ist die Szenerie, in der an diesem Mittwoch US-Präsident Joe Biden erstmals in seiner neuen Funktion auf Russlands Staatschef Wladimir Putin treffen wird. Es ist nicht das erste persönliche Aufeinandertreffen der beiden Staatsmänner. Während einer Begegnung 2011, Biden war damals Vizepräsident unter Barack Obama, sagte er nach eigenen Angaben zu Putin: "Ich glaube, Sie haben keine Seele." Putin soll geantwortet haben: "Dann verstehen wir uns."

Putin kommt zuerst - um einen Affront zu vermeiden

Weniger als 24 Stunden vor dem Gipfel sind am Dienstag die Vorbereitungen noch in vollem Gange: eine Flotte von Lieferwagen steht bereit, Zeltbauer, Gärtner legen an allen Ecken des Areals Hand an. Über ihnen kreist beständig ein Hubschrauber der Schweizer Armee, während ein Polizeiboot in Tarnfarben vom See her Deckung verspricht - die Wasserfläche ist ebenso gesperrt wie der Luftraum.

Der Ablauf an diesem Mittwoch ist allenfalls grob umrissen: Gegen 13 Uhr soll Putin in der Villa eintreffen, wo ihn der Schweizer Bundespräsident Guy Parmelin begrüßt. Biden, der bereits am Dienstagnachmittag aus Brüssel nach Genf gereist war, stößt dann erst dazu - die Choreografie soll einem Affront vorbeugen. Wie beim Gipfel 2018 in Helsinki - da ließ Putin den damaligen US-Präsidenten Donald Trump wie einen Schuljungen fast eine Stunde warten, landete überhaupt erst zehn Minuten vor dem geplanten Beginn des Treffens.

Nach einem kurzen Fototermin beginnen dann die offiziellen Verhandlungen: Zunächst sprechen nach Angaben aus der US-Delegation Biden und Putin miteinander, begleitet jeweils nur von ihren Außenministern Tony Blinken und Sergej Lawrow. Nach einer Pause wird die Runde dann auf jeweils fünf Delegationsmitglieder neben den Staatschefs geweitet. Russische Diplomaten sahen auch Raum für ein Vieraugengespräch der beiden Präsidenten.

Echte Einblicke in die Gespräche wird es kaum geben

Die Gespräche werden in der 1821 errichteten Bibliothek der Villa stattfinden, deren 15 000 historische Bände normalerweise den Genfer Bürgern zur Verfügung stehen. Zwischen See und Parkareal haben die Schweizer Organisatoren ein Zelt für Medien und ein Podest für Kameras aufgebaut - einen wirklichen Blick in die Villa aber erlauben auch diese Beobachterpositionen nicht.

Biden will dreierlei erreichen, wie ein hoher US-Regierungsbeamter sagte: eine Reihe von Themen identifizieren, in denen eine Zusammenarbeit mit Russland den nationalen Interessen der USA dient und die Welt sicherer mache. Zudem eine klare Abgrenzung von russischen Aktivitäten, die diesen Interessen zuwiderlaufen - und wo der Kreml mit Reaktionen rechnen müsse. Zudem werde Biden seinem russischen Gegenüber seine Vorstellung von Amerikas Werten und nationalen Prioritäten darlegen.

Die Liste der strittigen Themen ist lang - ein Ausweis dessen, in welchem Zustand sich die Beziehungen zwischen den beiden einstigen Supermächten befinden. Zumindest darüber, welche Fragen behandelt werden sollen, besteht Einigkeit, heißt es aus beiden Delegationen. Aus der amerikanischen aber auch, dass der Präsident jedes Thema anspreche, das er für notwendig erachte, etwa Menschenrechte oder den Fall des inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny.

Großen Raum werde die Frage der Atomarsenale einnehmen, sagte ein hoher US-Regierungsbeamter, vor allem die Frage, was nach dem Auslaufen des New-START-Vertrages im Jahr 2026 folgen soll. Hätten die beiden Präsidenten das Abkommen nicht wenige Tage nach Bidens Amtsantritt verlängert, wären auch die letzten verbliebenen Obergrenzen für strategische Nuklearwaffen gefallen. Später einmal soll auch China einbezogen werden.

Ebenfalls wichtig aus US-Perspektive: Cyberwaffen und Hacking. Washington lastet staatsnahen und staatlichen Hackern in Russland Einmischung in die US-Wahlen ebenso an wie Spionageattacken auf Regierungsinstitutionen und private Unternehmen. Auch digitale Erpresser, die mit Ransomware Millionenbeträge erbeuten und von Russland aus operieren sollen, wird Biden demnach ansprechen.

Biden behält sich vor, jedes Thema anzusprechen

Juri Uschakow, zwischen 1998 und 2008 Moskaus Botschafter in Washington und seither einer von Putins außenpolitischen Beratern, sagte, die Präsidenten würden auch die Corona-Pandemie und die Perspektiven für wirtschaftliche Kooperation diskutieren - wohl ein Verweis auf die US-Sanktionen gegen Russland. Regionale Themen wie die Situation im Nahen Osten, Syrien, Libyen, die Frage des iranischen Atomprogramms oder die Lage in Bergkarabach - "und natürlich die Ukraine" werde man "für das Dessert übrig lassen".

Zu essen allerdings wird es in der Villa La Grange nichts geben, zumindest nicht im offiziellen Format. Die Sache verspricht nüchtern und freudlos zu werden, Kreml und Weißes Haus dimmen seit Tagen die Erwartungen. Als Erfolg wäre es demnach schon zu werten, wenn es Arbeitsaufträge für Minister gäbe oder die Präsidenten wieder Botschafter nach Moskau und Washington entsenden. Der Kreml hatte seinen Vertreter abberufen, nachdem Biden in einem Interview die Frage bejaht hatte, ob er Putin für "einen Killer" halte.

Putin hatte jüngst in einem Interview gelacht, als er nach der Aussage gefragt wurde. Das Klima zwischen den Präsidenten dürfte trotz der Sommertemperaturen in Genf unterkühlt bleiben: Eine gemeinsame Abschlusserklärung ist nicht angekündigt, auch wenn Russland eine solche noch auszuhandeln versucht. Und auch keine gemeinsame Pressekonferenz.

So wird sich an den getrennten Auftritten der beiden Präsidenten am Ende des Tages messen lassen, ob sie sich bei diesem ersten Abtasten nähergekommen sind oder zumindest politische Fortschritte zu verzeichnen sind. Nach US-Angaben soll Putin zuerst über die Gipfelergebnisse informieren. Damit hätte Biden das letzte Wort.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5323468
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.