Süddeutsche Zeitung

Diplomatie:Scholz fasziniert vom "Bruttonationalglück"

Lange hat sich Bhutan im Himalaya fast gänzlich abgeschottet von der Welt. Doch nun schaut Premier Lotay Tshering erstmals beim Kanzler vorbei. Der ist ziemlich angetan.

Von Daniel Brössler, Berlin

Es sind "herzliche Grüße", wie sie nicht so oft überbracht werden im Kanzleramt. Lotay Tshering, der Premierminister aus Bhutan, gehüllt in ein rot-orangefarbenes Gewand, richtet sie aus vom "König der Könige" und den "Menschen aus dem Land des Bruttonationalglücks".

Der kleine Himalaya-Staat mit 800 000 Einwohnern verweigert sich den global üblichen Erfolgsmaßstäben und orientiert sich stattdessen am "Bruttonationalglück", das nachhaltiges Wachstum als Ziel postuliert. Bhutan spiele damit eine "Vorreiterrolle", lobt Scholz nach einem Gespräch mit dem Gast. "Faszinierend" nennt Scholz die Idee, das Glücksgefühl der Menschen einzubeziehen und nicht nur ökonomische Größen zu messen. "Ganz so weit sind wir in Deutschland noch nicht", räumt Scholz ein, "aber auch wir in Deutschland versuchen, Wohlstand auf eine breite Grundlage zu stellen."

Der Premier war im "Land des Donnerdrachens" der einzige praktizierende Urologe

Auf die Frage, ob das Bruttonationalglück auch für Deutschland ein Maßstab sein könnte, lässt sich der Premierminister allerdings erst gar nicht ein. "Ich bin nicht als Prediger in Sachen Glückseligkeit unterwegs", stellt Tshering klar. Das Streben nach Glück sei einfach eine Philosophie, dem seine Regierung in ihrem alltäglichen Handeln folge.

Tshering, von Beruf Arzt und einst einziger praktizierender Urologe im Land, bereist Deutschland und andere Länder Europas in aller Ruhe. Der Ministerpräsident ist nach Angaben seiner Regierung bereits am 8. März in Deutschland eingetroffen und wird am 22. März die Rückreise aus Europa antreten. Es sei ein Besuch, mit dem Geschichte geschrieben werde, sagt Scholz. Schließlich sei es der erste offizielle Besuch eines Regierungschefs aus Bhutan, was freilich auch daran liege, dass man erst seit 2020 diplomatische Beziehungen unterhalte.

Bhutan, das "Land des Donnerdrachens", trotzte abgeschottet über Jahrzehnte der Globalisierung und öffnet sich im Zuge eines Demokratisierungsprozesses erst seit 2008, das aber auch eher gemächlich. So wurde im November 2020 Deutschland zum erst 53. Staat, zu dem Bhutan diplomatische Beziehungen aufgenommen hat.

Man werte das als "Ehre", ließ das Auswärtige Amt damals wissen, und freue sich, "einen neuen Partner in Asien hinzuzugewinnen, der sich für eine regelbasierte, multilaterale internationale Ordnung einsetzt". Das hat sich in gewisser Weise als seherisch herausgestellt. Bhutan gehört zu den Ländern, die den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bei Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen von Anfang an verlässlich verurteilten.

Scholz ist dankbar für die klare Haltung zur Ukraine

Für die klare Haltung Bhutans sei er "ganz besonders dankbar", betont folglich der Kanzler. Das Königreich gehörte kürzlich zu den 141 Staaten, die zum Jahrestag des Überfalls den Rückzug der russischen Besatzer aus allen Teilen der Ukraine forderten. Damit unterscheidet es sich von seinen beiden benachbarten Giganten, China im Norden und Indien im Süden.

Indien dominierte über viele Jahre die Außenpolitik Bhutans. China wiederum setzt brachial seine Interessen in der Region durch, auch in Bhutan. Beide Mächte enthalten sich bei den Ukraine-Abstimmungen regelmäßig, wobei China als Unterstützer Russlands gilt und Indien sich eher um einen neutralen Kurs zwischen dem Westen und Russland bemüht. Die UN-Abstimmungen gelten als wichtiger Gradmesser, inwieweit die diplomatische Front gegenüber dem russischen Aggressor hält, bei der es auf jede Stimme ankommt.

Das Königreich verdient aus Perspektive der Bundesregierung auch aus anderen Gründen Anerkennung. Nicht nur genießt Umweltschutz in dem zu mehr als zwei Drittel bewaldeten Land Verfassungsrang und einen hohen Stellenwert; Bhutan hat das von Deutschland für 2045 ausgegebene Ziel der Klimaneutralität bereits übererfüllt. Das Land absorbiere sogar mehr CO₂, als es ausstoße, lobt Scholz. Das sei "beeindruckend" und von Bhutan durch den konsequenten Schutz seiner Wälder und den Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht worden.

Allerdings leidet Bhutan, das macht der Premierminister klar, erheblich unter den Folgen des von anderen verursachten Klimawandels. So könne es sich nicht mehr wie bisher auf die Wasserkraft verlassen. Wassermangel einerseits und Hochwasser andererseits erschwere diese Art der Energiegewinnung. Man setze nun auf kleinere Wasserkraftwerke wie auch auf Wind- und Solarenergie. Gerne, wie der Premierminister versichert, mit deutscher Technologie.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5768253
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.