Süddeutsche Zeitung

Verbraucherschutz:Digitalisierung macht auch vor Anwälten nicht halt

Internet-Plattformen helfen Bürgern, kleinere Ansprüche wie die Verstöße eines Vermieters durchzusetzen. Statt die neue Konkurrenz zu bekämpfen, sollte die Anwaltschaft sie nutzen.

Kommentar von Anika Blatz

Man kann von der Digitalisierung halten, was man will, aufzuhalten ist sie nicht. Auch nicht von der deutschen Anwaltschaft. So lässt sich die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Geschäftsmodell von Rechtsdienstleistern im Internet grob zusammenfassen.

Der BGH musste beurteilen, ob es mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz vereinbar ist, wenn "Legal-Tech-Plattformen" Rechte ihrer Nutzer durchsetzen. Dabei ging es um die Abgrenzung zwischen einer - diesen Unternehmen erlaubten - Inkassotätigkeit und unerlaubter Rechtsberatung. Diese obliegt ausschließlich den Rechtsanwälten als unabhängigen Organen der Rechtspflege. Wer keine Rechtsanwaltslizenz hat, darf nicht beraten.

Unternehmen, die etwaige Ansprüche der Plattformnutzer mit Hilfe von Algorithmen prüfen und dann geltend machen, bewegten sich bisher in einer Grauzone. Während die Befürworter vorbrachten, man verhelfe Verbrauchern so zur Durchsetzung ihrer Ansprüche, bekämpfte die Anwaltschaft die Konkurrenz durch alle Instanzen. Dass sich der BGH nun für die Tätigkeit der Plattformen ausgesprochen hat, ist das richtige Signal.

Egal ob es um Flugverspätungen, Dieselskandal oder, wie hier, den Verstoß eines Vermieters gegen die Mietpreisbremse geht: Verbraucher suchen in der Regel zuerst im Internet Hilfe. Einerseits, weil es oft um niedrige Ansprüche geht und sich ein Anwalt da meist nicht rechnet. Andererseits, weil es einfach, bequem und schnell geht. Wer etwa meint, er zahle für seine Wohnung mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete, tritt die vermutete Forderung per Mausklick an den Plattformbetreiber ab. Der macht die Ansprüche für ihn geltend. Zahlen muss der Kunde nur bei Erfolg.

Die Zeiten, in denen der Mandant wegen Kleinigkeiten den Hausjuristen konsultiert, sind vorbei. Der moderne Mensch möchte unkomplizierten Service - auch bei rechtlichen Dienstleistungen. Den leisten Legal-Techs. Sie bieten dem Verbraucher, was für Unternehmen seit jeher eine Selbstverständlichkeit ist: Inkassoleistungen. Der BGH hat das entsprechend gewürdigt und eine zeitgemäße, verbraucherfreundliche Entscheidung getroffen.

Die Digitalisierung verändert nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Berufsbilder. Das gilt natürlich auch für die Anwaltschaft. Für Anwälte reicht es nicht mehr aus, nur über juristischen Sachverstand zu verfügen. Doch anstatt die Veränderungen als Chance zu sehen und den neuen Markt mitzugestalten, hecheln sie hinterher. Sie bekämpfen lieber die Entwicklung moderner Technologien und neuer Geschäftsmodelle, als die Komfortzone zu verlassen.

Dabei könnten Rechtsanwaltsgesellschaften von den neuen Anbietern sogar profitieren. Denn auch die Internetanbieter müssen sich vor Gericht von Anwälten vertreten lassen. So werden durch die Plattformen viele neue Mandate generiert. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, Legal-Techs machten Rechtsanwälte obsolet. Menschliche juristische Arbeitsleistungen werden gerade nicht überflüssig. Auch der Anwalt 4.0 wird ein Mensch und keine Maschine sein. Allerdings wird sich die Beratungstätigkeit künftig auf komplexe Sachverhalte oder Themen, die menschlichen Beistand erfordern, konzentrieren.

Der digitale Wandel gibt der Anwaltschaft so die Möglichkeit, sich neu zu orientieren.

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SZ vom 29.11.2019/fie
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