BGH:Ehe mit 16 wird nicht aufgehoben

Deutsche Gerichte müssen nicht zwangsläufig eine im Ausland geschlossene Ehe von Minderjährigen annullieren, entscheidet der Bundesgerichtshof.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es ist eines dieser Gesetze, wie sie in Zeiten großer Aufgeregtheiten entstehen: Im Juli 2017 hat die große Koalition, geschüttelt von der Debatte um den Umgang mit der hohen Zahl von Flüchtlingen, ein Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Kraft gesetzt. Gegen die Warnungen von Fachleuten schuf der Gesetzgeber einen rigiden Automatismus, der vor allem im Ausland geschlossene "Kinderehen" annullieren sollte. Ende 2018 folgte das erste Veto des Bundesgerichtshofs (BGH). Die Regelung, wonach Ehen mit unter 16-Jährigen ausnahmslos unwirksam seien, verstoße gegen das Grundgesetz, weil immer eine Prüfung des Einzelfalls möglich sein müsse. Der BGH rief daher das Bundesverfassungsgericht an, dort harrt das Verfahren einer Entscheidung.

Am vergangenen Freitag hat der BGH nun nachgelegt, wiederum mit einem Beschluss, der dem damaligen Gesetz die Schärfe nimmt. Dieses Mal ging es um Ehen mit 16- oder 17-Jährigen, die nach der Reform von 2017 aufzuheben sind. Davon kann laut Gesetz zwar in besonderen Härtefällen abgesehen werden. Doch in der damaligen Gesetzesbegründung steht, dass die Gerichte solche Ehen "grundsätzlich immer" rückgängig machen sollen. Auch dies hält der BGH für verfassungswidrig, weil ein Aufhebungszwang auch hier den Blick auf den Einzelfall verstellt. Da kann es etwa um Fälle gehen, in denen eine Frau, die als Mädchen in eine solche Ehe hineingeraten ist, bei einer Annullierung der Ehe mit Kindern, aber ohne Unterhaltsansprüche dasteht. Dieses Mal musste der BGH allerdings nicht das Verfassungsgericht anrufen. Denn während die Begründung des Kinderehen-Gesetzes als Aufhebungszwang zu lesen ist, kommt der Wortlaut des Gesetzes selbst sehr viel milder daher. Danach "kann" die Ehe unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden. "Kann" heißt nicht "muss".

Im konkreten Fall sah der BGH keinen Anlass, an der Wirksamkeit der Ehe zu zweifeln. Das Paar hatte 2001 in Libanon geheiratet. Er war damals 21, sie 16. Die beiden lebten seit 2002 zusammen in Deutschland und haben vier Kinder. Inzwischen sind sie getrennt, die Frau hat einen neuen Partner und will die Ehe nicht mehr. Die Aufhebung würde hier "in krassem Gegensatz zu der langjährig bewusst im Erwachsenenalter gelebten Familienwirklichkeit stehen", meinen die Richter. Sie könne sich ja scheiden lassen.

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